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Protestaktion vor der deutschen Botschaft in Brüssel. Die Demonstranten fordern ein Energieembargo.

Foto: Reuters

Selten in der jüngeren Vergangenheit wurde eine Frage unter deutschsprachigen Ökonomen hitziger diskutiert: Brauchen wir ein Gasembargo gegen Russland, und würde dieses helfen, den Krieg zu beenden? Vertreter der ukrainischen Regierung sagen zwar inzwischen offen, dass sie es bevorzugen würden, wenn die EU zunächst einen Lieferstopp für Erdöl verhängte. Gut 40 Prozent der russischen Staatseinnahmen werden über den Verkauf von Öl und Gas finanziert, wobei Öl den größeren Anteil stellt. Deshalb will Kiew zunächst hier ansetzen.

Den Debatten der Wissenschafter übers Gas, die vor allem mit moralischen Vorzeichen geführt werden, tut das keinen Abbruch. Doch was geschieht, wenn tatsächlich gar keine Energieimporte mehr aus Russland kommen? In bisherigen Analysen sah es so aus, als wäre die Folge ein Wirtschaftseinbruch, aber kein besonders dramatischer.

Doch in einer neuen Einschätzung kommen Experten der Deutschen Bundesbank zum Ergebnis, dass Deutschland im Falle eines Energieembargos eine mehrjährige Rezession droht. Demnach würde die deutsche Wirtschaftsleistung 2022 bei einem Lieferstopp für Gas, Öl und Kohle um zwei Prozent einbrechen. Jüngste Prognosen der Europäischen Zentralbank hatten für die Bundesrepublik ein Wachstum von drei Prozent vorausgesagt – ein Embargo würde also rund fünf Prozentpunkte an Wachstum kosten.

Zum Vergleich: Ein Paper von Forschern rund um den Bonner Wissenschafter Moritz Schularick kam zum Ergebnis, dass ein Gasimportstopp für Deutschland einen Einbruch zwischen lediglich 0,5 und drei Prozent der Wirtschaftsleistung nach sich ziehen würde. Ökonomen der Industriellenvereinigung gehen für Österreich von ähnlichen Werten aus.

Jedenfalls dürften beide Länder aufgrund der ähnlichen Wirtschaftsstruktur und einer starken Abhängigkeit von russischem Gas ähnlich stark betroffen sein .

Längere Krise?

Woher die Unterschiede in den Prognosen rühren, lässt sich nicht sagen. Laut Bundesbank würde ein Stopp der Energieimporte Haushalte und Unternehmen auf mehreren Ebenen treffen. Die Industrie könnte weniger produzieren, insbesondere dort, wo Gas direkt verarbeitet wird, etwa in der Chemieindustrie. Aber auch Unternehmen, die ihre Waren weiter herstellen könnten, müssten mit Einbußen rechnen: Höhere Energiepreise als Folge des Lieferstopps würden sie international Wettbewerbsfähigkeit kosten. Haushalte müssten ebenfalls mehr bezahlen und könnten weniger konsumieren.

Die Bundesbank rechnet auch 2023 und sogar 2024 weiter mit einer Rezession bei einem Energieembargo. 2023 würde die Wirtschaft um fast vier Prozent schrumpfen, 2024 um rund drei Prozent.

Die Einschätzungen sind wichtig, weil Deutschland die mit Abstand größte Volkswirtschaft in der EU ist.

Ähnliche Analysen über die kurzfristigen Auswirkungen eines Energielieferstopps fehlen in Österreich bisher. Die türkis-grüne Regierung bleibt allerdings dabei, dass ein Embargo nicht machbar wäre. Umwelt- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat sich am Sonntag in mehreren Medien erneut gegen ein Embargo für russisches Gas ausgesprochen. Ein Ausstieg sei derzeit nicht möglich, man arbeite aber an einem Ausstiegsplan, so die Ministerin gegenüber der Presse am Sonntag.

Soll der Westen als Antwort auf Putins Krieg aufrüsten? Über diese Frage diskutierte eine Expertenrunde beim Videotalk "STANDARD mitreden". Mit dabei waren der prominente deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler, Heinz Fischer, Gerald Karner und Friedensforscher Thomas Roithner.
DER STANDARD

Interessant an diesen Debatten ist auch, dass wenig dazu publiziert wird, wie sich ein Stopp der Energielieferungen auf die Fähigkeiten Russlands auswirken würde, den Krieg weiterzuführen.

Hier ließ US-Finanzministerin Jenet Yellen bei der Jahrestagung von Währungsfonds und Weltbank vergangene Woche aufhorchen. Yellen warnte die Europäer explizit davor, ein Ölembargo zu verhängen, weil die folgenden Preissteigerungen dem Kontinent zusetzen würden.

Die US-Finanzministerin weiter: Andere Staaten würden ihrerseits weiter Öl und Gas von Russland beziehen. "Das Ganze könnte kontraintuitiv tatsächlich nur sehr geringe negative Auswirkungen auf Russland haben, denn obwohl Russland weniger exportieren könnte, würde der Preis, den es für seine Exporte erhält, steigen", so Finanzministerin Yellen. (András Szigetvari, 25.4.2022)