Amtsinhaber Emmanuel Macron lud zur großen Siegesfeier auf den Pariser Champ de Mars, Tausende kamen.

Foto: AFP/Bertrand Guay

Das spannende Finale zwischen dem politisch gemäßigten Amtsinhaber Emmanuel Macron und der Radikalpopulistin Marine Le Pen wurde am Sonntagabend klar entschieden: Der amtierende Staatschef sicherte seine Wiederwahl laut Hochrechnungen mit einem komfortablen Vorsprung von mehr als 58 Prozent der Stimmen und erzielte damit einen souveränen Sieg. Vor der Kulisse des Eiffelturms ließ er sich am Sonntagabend feiern. Er werde "Präsident von allen" sein und niemanden zurücklassen, versprach er in seiner ersten Rede nach der Wiederwahl. Seine Fans dankten ihm mit "Macron, président"-Rufen.

Le Pen musste sich mit 42 Prozent abfinden. Ihr Resultat ist eine ähnliche Enttäuschung wie vor fünf Jahren, als sie 34 Prozent Stimmen erzielte. Immerhin kommt sie in Frankreich auf über 40 Prozent – ein Resultat, das Bände spricht über den Aufschwung der extremen Rechten in Frankreich. In Le Pens Hauptquartier herrschte um 20 Uhr, als das Resultat bekannt wurde, bleierne Stille. Die 53-jährige Parteichefin des "Rassemblement National" trat kurz darauf vor ihre Fans, um ihr Abschneiden gegen jede Vernunft als "eklatanten Sieg" zu bezeichnen. Applaus erntete sie erst, als sie erklärte, sie werde ihr persönliches "Engagement fortsetzen". Daran hatte sie bisher Zweifel gelassen. Weiter erklärte sie, sie eröffne "die Schlacht um die Parlamentswahlen" von Juni. Dann nämlich wird sich entscheiden, ob Macron in der Nationalversammlung eine Regierungsmehrheit behält. Le Pen kündigte an, sie werde dabei mit aller Kraft gegen die "brutalen und verachtungsvollen Methoden" Macrons ankämpfen.

Linke will sich sammeln

Ins gleiche Horn stieß am Sonntag auch Linkenchef Jean-Luc Mélenchon, der im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen als Drittplatzierter knapp ausgeschieden war. Gegen die "präsidiale Monarchie" des Präsidenten rief er zu einer "offenen und massiven Aktion" auf. Seine "Volksunion", hinter der er alle Linksformationen scharen will, habe die gleiche Aufgabe wie der Dritte Stand – das Volk – in der französischen Revolution von 1789.

Solche drohenden Töne blieben am Sonntagabend vorerst unbeantwortet: Macron, der für seine chronische Verspätung bekannt ist, trat erst später am Abend vor seinen Anhängern auf. Mit dem Marsfeld beim Eiffelturm hatte er erneut eine imposante Kulisse für die Wahlfeier gewählt, nachdem er 2017 vor der Louvre-Pyramide seine ersten Schritte als gewählter Präsident getätigt hatte. Auf dem Marsfeld erwarteten erneut mehrere tausend Macronisten ihr Idol zu Technoklängen.

Langes Warten auf Parlamentswahl

Macrons Amtseinsetzung soll am 14. Mai erfolgen. Dann wird ein Monat bis zu den Parlamentswahlen vom 12. und 19. Juni vergehen. Solange wird Macron nicht wissen, ob er eine Mehrheit in der Nationalversammlung hat.

Viel diskutiert wurde am Sonntagabend in den politischen Talkshows die Frage, welchen politischen Kurs Macron einschlagen werde. In der ersten Wahlkampfphase hatte er klar nach rechts tendiert, um Le Pens harte Vorschläge in Sachen Immigration zu kontern. Vor dem zweiten Wahlgang riss er das Steuer aber nach links herum, um die Stimmen des linken Mélenchon-Lagers aufzufangen.

Auf jeden Fall wird Frankreich einen Regierungswechsel erleben. Der aktuelle Premier Jean Castex hat schon klargemacht, dass er nicht mehr zur Verfügung stehe. Am Montag will er seine Demission einreichen. Zwei Frauen gelten als potenzielle Nachfolgerinnen: die Vorsteherin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, und die aktuelle Transportministerin Elisabeth Borne. Letztere scheint momentan Macrons Gunst zu genießen. Lagarde dürfte wenig Lust haben, ihre Chefbüro in Frankfurt für einen subalternen Job in der Pariser Politik zu räumen.

"Dritter Wahlgang" auf der Straße?

Zumal die Wahlkommentatoren mit einem "dritten Wahlgang" auf der Straße rechnen, das heißt einer Protestwelle gegen Macrons Reformpolitik. Die soziale Unrast im Lande sei groß, befand am Sonntag der Leitartikel-Schreiber der Wirtschaftszeitung La Tribune, Philippe Mabille. 2002 habe die extreme Rechte in der Präsidentschaftswahl erst 18 Prozent Stimmen gemacht, 2017 dann 34 Prozent – und jetzt schon 42 Prozent. "Der Ball liegt nun bei Macron. Seine Verantwortung ist gewaltig."

Linke Gruppen wollten schon am Sonntagabend gegen Macrons Wahl auf die Straße gehen. Nach dem ersten Wahlgang vor zwei Wochen war es in mehreren Städten, darunter Lyon, Paris und Rennes, zu Ausschreitungen gekommen. Rennes verbot vorsorglich eine angekündigte Demonstration. (Stefan Brändle aus Paris, 24.4.2022)