Im Gastblog schreiben die Journalistinnen Clara Hofer und Sabrina Kainrad über einen Vortrag, der Einblicke gab, wie es Ukrainerinnen und Ukrainern hierzulande geht.

Nataliya Niederkofler weiß, was sie sich zumuten kann. Stress hält sie aus, auch Zwölfstundentage und herausfordernde Situationen. Und damit ist sie auch in der Lage, Menschen in Ausnahmesituationen zu helfen. Die 44-Jährige engagiert sich seit 2014 ehrenamtlich für die Menschen in der Ukraine und ist Teil des Krisenkoordinationsstabes der ukrainischen Gemeinschaft in Innsbruck, worüber sie beim Mediengipfel in Lech gesprochen hat. Sie selbst hat ihre Heimat vor 19 Jahren verlassen, damals mit dem Ziel, in Hamburg Germanistik zu studieren. Dort hat sie dann auch ihren späteren Ehemann getroffen und ist mit ihm in seine Heimat nach Tirol gezogen.

Familie im Krisengebiet

Die Annexion der Krim durch Russland 2014 "war ein Riesenschock", erzählt Niederkofler. Dennoch habe die Distanz den Schock gelindert, "dieser Angriff hat nicht meine Heimatstadt Lemberg betroffen". Doch schon damals begann sie für die Betroffenen in der Ukraine Spenden zu sammeln. Dass Russland eines Tages die gesamte Ukraine angreifen würde, hat die zweifache Mutter nicht für möglich gehalten. "Es gab jedes Jahr Aufmärsche der russischen Armee an der Grenze zur Ukraine, dass es wirklich passieren wird, daran haben wir nicht geglaubt."

Dann ist es doch passiert, am 24. Februar 2022. "In den ersten drei Tagen habe ich nur geweint." In der Ukraine lebt nach wie vor ihre gesamte Familie, ihre Eltern, ihr Zwillingsbruder, eine große Verwandtschaft. "Mein Vater weigert sich, sein Heimatland zu verlassen, also ist auch meine Mutter geblieben. Es war schwer für mich, das zu akzeptieren." Denn dieser Krieg wird noch länger dauern, ist sie überzeugt. "Wenn meine Eltern jetzt dort sterben, kann ich sie nicht einmal begraben."

Nataliya Niederkofler (links im Bild) beim Mediengipfel.
Foto: ProMedia/Florian Lechner

Zweite Heimat

Doch anstatt sich von der Angst lähmen zu lassen, hat Niederkofler ihre Energie ins Helfen gesteckt und in den letzten Wochen gemeinsam mit der ukrainischen Gemeinschaft Spenden gesammelt und Geflüchtete mit Dolmetsch unterstützt. "Ich mache einfach das, was ich kann, damit ich nicht verrückt werde", erzählt sie. Mit ihrem Einsatz will sie den Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, sich so schnell wie möglich in einem Land zu integrieren, "in dem auch ich mich von Beginn an heimisch gefühlt habe". Die Betreuung der Geflüchteten, die Traumatisches erlebt haben, sei auch für sie immer wieder eine emotionale Herausforderung. "Man bekommt von vielen dieser Menschen so viel zurück, das gibt mir die Kraft, weiterzumachen", sagt sie.

Reden über den Krieg

Thema ist der Krieg in der Ukraine auch zu Hause und in der Schule ihrer Kinder. "Meiner Tochter war nicht klar, wie sie dazu stehen sollte. Und da habe ich ihr schon erklärt, dass sie dazu eine eindeutige Meinung haben darf, dass das, was Putin macht, nicht fair ist." Bis zu diesem Krieg gab es immer wieder den Traum, in der Heimat zu leben. Ob eine Rückkehr je wieder möglich sein wird? "Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich irgendwann mit meiner Familie in der Ukraine zu Hause sein werde", sagt Niederkofler. (Clara Hofer, Sabrina Kainrad, 25.4.2022)