Protest in Paris gegen die Wiederwahl Macrons.

Foto: EPA/Mohammed Badra

Noch einmal gutgegangen. Die Wiederwahl von Emmanuel Macron erspart Frankreich und ganz Europa eine weitere schwere Krise, diesmal der politischen Art. Wenn man zurückdenkt, wie chaotisch, ja albtraumhaft Donald Trumps Präsidentschaft in den USA ausgefallen war, kann man erahnen, was aus Le Pens "Quinquennat" (fünfjährige Amtszeit) geworden wäre – und das mitten in einer Zeit des Krieges, der Klimabedrohung und der Rekonvaleszenz von der Pandemie. Das "Problem" Le Pen hätte Europa zudem bedeutend stärker be- und getroffen als die US-Präsidentschaft: Erstens wollte die französische Rechtsnationale die EU durch ein loses "Europa der Nationen" ersetzen; und zweites wäre sie mitten in Putins Krieg aus der europäischen Einheit ausgeschert, was die Kräfteverhältnisse bis in die Ukraine umgestürzt hätte.

Nochmals mit dem Schrecken davongekommen? Ja, schon, nur sind da noch die 41,5 Prozent Stimmen, die Le Pen in Frankreich erhalten hat. Das ist viel, viel zu viel für eine Rechtsextremistin. Daraus zu schließen, dass Le Pen nur rechte Stimmen erhielt, Macron dagegen die linken und Mittestimmen, wäre allerdings verfehlt. Viele Linkswähler haben sich der Stimme enthalten.

Neue Bruchlinien

Auch dies zeigt: Die Bruchlinie verläuft heute in Frankreich nicht mehr unbedingt zwischen links und rechts. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass die frühere konservativ-gaullistische Massenpartei der Républicains, in etwa mit der deutschen CDU vergleichbar, auf unter fünf Prozent fiel; die SPD-nahe Parti Socialiste schrumpfte gar auf 1,7 Prozent.

Nein, die Front des neuen Klassenkampfes verläuft in Frankreich heute zwischen dem liberalen Proeuropäer Macron einerseits und den Populisten andererseits – als da wären Le Pens Rassemblement National und Eric Zemmours Reconquête zur Rechten sowie Jean-Luc Mélenchons Insoumis (Unbeugsame) zur Linken. Macrons moderate Mitte gegen die radikalen Ränder des französischen Politspektrums: Das ist die Konstellation eines neuen Klassenkampfs in Frankreich.

Das legen auch die Wähleranalysen nahe: Macron hat seine Wählerbastionen in den Städten und bei höheren Angestellten. Der wiedergewählte Präsident hat überall dort gepunktet, wo das Einkommensniveau höher als im Landesschnitt liegt. Einfach gesagt: Wer Geld hat, wählt Macron.

In Frankreich kam es nach Macrons Wahlsieg in mehreren Städten zu Protesten. Viele junge Demonstrierende wollten im zweiten Wahlgang weder Macron noch Le Pen ihre Stimme geben.

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Mélenchon punktet bei Jungen, Einwanderern und Arbeitern

Die anderen wählen die Populisten. Oder wie sich der Demoskop Jérôme Fourquet ausdrückt: Für Macron wählt das "obere" Frankreich, für Le Pen und Mélenchon das "untere". Die beiden Volkstribune haben ihre Bastionen im eher industriellen Nord- und Ostfrankreich sowie in den ländlichen Gegenden südlich davon. Le Pen kommt eher bei Arbeitern, Kleinbeamten oder Arbeitslosen an, Mélenchon bei Jungen, Einwanderern und ebenfalls bei Arbeitern.

Zusammen gibt das eine ganze Menge von Leuten, die sich explizit auf Marx zurückbesinnen – vier der zwölf Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten sind bekennende Marxisten – und einen radikalen Bruch mit dem "System" wollen. Sie sehen sich einem Präsidenten gegenüber, der sich nach eigener Darstellung als "Jupiter" fühlt und zugleich über Analphabetinnen und Arbeitslose spottet. Das ist brandgefährlich – für die nationale Psyche, für die nationale Politik. Nicht so sehr, weil Macron ein heimlicher neoliberaler Kapitalist wäre: Der Präsident hat mehr soziale Maßnahmen umgesetzt als sein sozialistischer Vorgänger François Hollande. Er spaltet die Nation gewiss auch mit der Schleifung der Vermögenssteuer, aber vor allem auch mit seinen elitär-arroganten Allüren, die den Blick auf seine milliardenschwere Sozialpolitik verstellen. Gefährlich ist das, weil es viele Franzosen an die Abgehobenheit französischer Könige erinnert. In einem Land, das stolz ist auf die Errungenschaften der Revolutionen (von 1789 wie auch 1848), kann das nicht ewig gutgehen.

Wie haben junge Franzosen gewählt und was erwarten sie nun vom Sieger Macron. STANDARD-Redakteurin Flora Mory analysiert aus Paris.
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Ausgeschlossen vom Gang der Welt

All diese politischen und soziologischen Aspekte der Frankreich-Wahl sind keine abgehobenen Betrachtungen. Wer durch Frankreich reist, findet sie vielenorts bestätigt – bei den kalten Hochöfen Lothringens, rund um die stillgelegten Kohleminen Nordfrankreichs oder bei den verarmten Bauern im Zentralmassiv und den Pyrenäen. Dort begegnet man dem Elend, über das die französischen Medien selten berichten, auch nicht während Wahlkampagnen. Dort herrscht wirkliche Armut, begleitet vom Gefühl, vom Gang der Welt und auch von diesen Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen zu sein. Und dort gärt die Wut. Sie könnte das zentrale Element der anstehenden Amtszeit sein, wenn sie ausbricht wie während der Gelbwesten-Krise. Denn nicht zu vergessen: Le Pen hat zwar die Wahl verpasst, die tieferen, sozialen Ursachen für ihr Aufkommen sind aber nicht beseitigt. Und mit jedem Punkt, um den die Inflation zulegt, wird in Frankreich auch die soziale Unrast steigen. Macrons zweite Amtszeit dürfte nicht ruhiger ausfallen als die erste. (Stefan Brändle aus Paris, 25.4.2022)