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Massentest im Pekinger Stadtteil Chaoyang.

Foto: AP /Andy Wong

20 Millionen Pekinger fürchten derzeit, dass die Regierung einen strikten Lockdown über die Stadt verhängt. Seit dem Wochenende müssen sich immer mehr Pekinger zu Massen-PCR-Tests einfinden. Im dichtbesiedelten Bezirk Chaoyang wurden Teststationen aufgebaut. Auch zu Hamsterkäufen ist es bereits gekommen. Am vergangenen Sonntag waren 22 Infektionsfälle gemeldet worden. "Kein Grund zur Sorge", titelte am Montag eine Zeitung in Peking. "Es sind genug Nahrungsmittel vorhanden, und die Preise sind stabil." Solche Nachrichten der staatseigenen Propagandapresse deuten eher auf das Gegenteil hin. Auch sind bereits mehrere Compounds, in denen Infektionen aufgetreten waren, eingeschlossen.

Die 26 Millionen Schanghaier leiden seit bald vier Wochen unter den drakonischen Maßnahmen. In der Nacht von Sonntag auf Montag sind anscheinend große Teile der Stadt mit Gittern verbaut worden. Die Zäune, auf denen sogar Stacheldraht montiert ist, werden direkt um Hauseingänge gebaucht. Damit wollen die Behörden sicherstellen, dass niemand das Haus verlässt. "Hard Lockdown" heißt diese Technik im offiziellen Sprachgebrauch.

Wirtschaftliche Kosten enorm

Unterdessen rätseln Beobachter, wieso die Regierung weiterhin so stur an der Zero-Covid-Politik festhält. Die wirtschaftlichen Kosten sind enorm und wachsen mit jedem Tag: Schanghai und das benachbarte Ningbo gehören zu den größten Containerhäfen der Welt – davor stauen sich derzeit hunderte Schiffe. Zahlreiche Firmen im Yangze-Delta, einem globalen Wirtschaftszentrum, haben die Produktion eingestellt.

Fraglich ist auch, ob die unmenschliche Zero-Covid-Politik am Ende nicht auch die Herrschaft der KP gefährdet. Immer öfter dringen Videos nach außen, die gewaltsame Zusammenstöße von Bürgern mit den sogenannten Da Bais (große Weiße) zeigen, wie die Polizisten in ihren weißen Schutzanzügen genannt werden. Am Freitag kursierte in den chinesischen sozialen Medien ein Video, das das Leid zahlreicher seit bald vier Wochen in ihren Wohnungen eingeschlossenen Bewohner dokumentierte. "Voices of April" dokumentiert die Lügen der Regierung über einen Lockdown, der eigentlich nur vier Tage dauern sollte, nun aber schon bald vier Wochen dauert. In dem sechs Minuten langen Video kommen zudem verzweifelte Helfer und Bürger zu Wort.

Folgeschäden uneinschätzbar

Die Zensoren kamen mit dem Löschen nicht mehr hinterher, da das Video so schnell geteilt und verbreitet wurde. Trotzdem aber löschte die Schanghaier Polizei 30 Onlinegruppen und verhaftete 20 Personen wegen der "Verbreitung von Covid-Gerüchten".

Schwer zu erklären ist zudem die geringe Impfquote: Bei den über 60-Jährigen sind 62 Prozent mit zwei Dosen geimpft. Schanghai hatte am Sonntag 39 Tote in Zusammenhang mit Corona gemeldet.

Tatsache ist aber, dass man nur mutmaßen kann über die Zahl der Toten, die in direkter oder indirekter Folge durch den Lockdown ums Leben gekommen sind. Zahlreiche Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen werden nicht mehr behandelt. Die Versorgung mit Lebensmitteln funktioniert stellenweise nicht gut. Am Wochenende zeigt ein Video eine brennende Wohnung, während die Feuerwehr damit beschäftigt war, die Absperrungen abzubauen.

Unklar ist auch, welche Folgeschäden die mittlerweile rund 500.000 Menschen haben werden, die derzeit in Quarantänelagern ausharren müssen. Das Licht brennt dort die ganze Nacht, die Geräuschkulisse ist enorm. Duschen gibt es nicht. Auch wurden mehrere Tausend Bewohner ganzer Stadtviertel in provisorische Camps in angrenzende Provinzen gebracht. Wie all dies enden soll, ist unklar. Vermutlich streben die Behörden einen Zustand an, in dem keine Neuinfektionen mehr in den Stadtvierteln gemeldet werden und alle Infizierten in Lagern abgesondert sind. (Philipp Mattheis, 25.4.2022)