Wir sind Zeugen eines deutschen Trauerspiels mit dem sozialdemokratischen Bundeskanzler in der Hauptrolle: "Scholz zwischen allen Stühlen", so lautet der treffende Titel des Leitartikels in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch Der Spiegel brachte zum Wochenende eine Titelgeschichte und ein vier Seiten langes Interview über seine Angst vor einem Atomkrieg, sein Zaudern bei den Lieferungen von schweren Waffen für die Ukraine und seine Erklärungen für die Scherben der SPD-Russland-Politik.

Was ist geschehen? Drei Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte Scholz im Bundestag im Zeichen der Zeitenwende die Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 100 Milliarden Euro angekündigt. Laut Umfragen haben 79 Prozent der Deutschen die Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik befürwortet.

Knapp sieben Wochen später sind 50 Prozent der Befragten unzufrieden mit Scholz und zwei Drittel halten ihn für nicht führungsstark. Seine Reaktion: Eine Eskalation des Krieges in Richtung Nato zu vermeiden habe für ihn "höchste Priorität. Deshalb schiele ich nicht auf Umfragewerte oder lasse mich von schrillen Rufen irritieren." Wladimir Putin mit dem Rücken zur Wand ist in der Tat alles zuzutrauen, und kein objektiver Beobachter kann die Beteuerungen des Kanzlers bezweifeln, es gehe ihm doch nicht um Angst, sondern um politische Verantwortung.

Zwei Drittel der Befragten halten Olaf Scholz nicht für führungsstark.
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Es gelingt ihm aber nicht, den Menschen glaubhaft zu erklären, was die Regierung will und warum sie es tut. Der deutsche Kanzler verliert sich viel zu oft inmitten des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine im Klein-Klein in seiner Kommunikation.

Fehlende Empathie

Das Momentum für eine klare Ansage hinsichtlich der Klärung der militärischen Hilfe Deutschlands für die Ukraine ließ er am vergangenen Dienstag verstreichen. Möglicherweise fehlt ihm, unter einem enormen internationalen, innenpolitischen und parteiinternen Druck, das Gefühl für Empathie, um die ums nationale Überleben kämpfenden Ukrainer zu überzeugen, dass die Deutschen wirklich alle Waffen liefern, wie sie können.

Die innenpolitische Debatte wird vor der wichtigen Landtagswahl am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen auch von Schuldzuweisungen betreffend die Fehler der Russland-Politik der Sozialdemokraten, aber auch Angela Merkels belastet. Man darf auch die verhängnisvolle Rolle des für eine Million Dollar jährlich noch immer als "Hofschranze Putins" (so die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller) tätigen Altbundeskanzlers Gerhard Schröder beim Aufbau der mächtigen Fraktion der "Putinversteher" in Deutschland nicht vergessen.

Scholz trägt auch die Last der fehlenden parteiinternen Aufarbeitung des Falls Gerhard Schröder. Man hatte ihn als "eine männliche Merkel-Inkarnation", als einen hochgebildeten und erfahrenen Realpolitiker betrachtet, der mit seiner pragmatischen Führungskompetenz den Menschen das Gefühl der Sicherheit vermittelt.

Es bleibt abzuwarten, ob Olaf Scholz die von vielen Faktoren geprägten Fehler seiner Kommunikation, den fatalen Eindruck der Führungsschwäche wegen seines Lavierens national und international noch rechtzeitig und glaubwürdig reparieren kann. (Paul Lendvai, 25.4.2022)