Noch haben viele Menschen eine starke emotionale Bindung zu Bargeld.

Foto: imago images/NurPhoto

Jahrtausendelang verstanden Menschen unter Geld das, was man angreifen konnte: Münzen, Scheine, aber auch Muscheln, Silber oder Gold. Sie kauften damit Lebensmittel, Kleidung, bewahrten es in ihrem Zuhause auf oder maßen damit den Wert bestimmter Waren.

Das hat sich vor allem in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Gezahlt wird meist nur noch mit Plastikkarte, einem Wisch auf dem Handy oder einem Klick im Internet. Immer öfter brauchen wir gar nicht mehr bezahlen – zumindest nicht aktiv: Denn das Geld wird automatisch abgebucht, etwa bei einer Fahrt mit Uber oder in einem Supermarkt von Amazon, in dem Kameras und Sensoren die Produkte im Einkaufswagen erfassen und im Hintergrund über eine App abrechnen. Wer an der Supermarktkassa heute noch nach Münzen kramt, der muss sich die Blicke ungeduldig wartender Kunden gefallen lassen.

Rasante Entwicklung

Bargeld wird langsam, aber sicher zurückgedrängt – vor allem seit der Corona-Pandemie, in der viele Menschen kontaktlos zahlten aus Angst, sich anzustecken (auch wenn die Prägeanstalt Münze Österreich betonte, dass es kein erhöhtes Ansteckungsrisiko durch Bargeld gibt). In vielen Ländern ist die Entwicklung rasant: In Schweden ist der Anteil der Menschen, die mit Bargeld zahlen, in den vergangenen zehn Jahren von 39 auf neun Prozent gesunken. In Norwegen werden Scheine und Münzen nur noch für ungefähr drei bis vier Prozent aller Transaktionen verwendet. Und auch in Österreich, das kulturell nach wie vor eng mit Bargeld verbunden ist und wo laut einer Studie knapp die Hälfte der Menschen bevorzugt mit Bargeld zahlen, steigt die Zahl der bargeldlosen Transaktionen pro Kopf.

Angetrieben wird der Trend vor allem von jungen Menschen, die meist technologisch offener sind und für die das bargeldlose Zahlen mit Karte, Handy oder im Internet mehr Komfort und Schnelligkeit verspricht. Allein im vergangenen Jahr hat sich etwa die Nutzung von Apple Pay bei Menschen von 18 bis 24 Jahren laut Umfragen mehr als verdoppelt.

Mehr Kosten bei Bargeld

Aber es sind auch andere Faktoren, die die Nutzung von Bargeld zurückdrängen. Das Drucken, Prägen, Ausliefern per Geldtransporter und Lagern von Bargeld kostet Geld, Händler müssen Wechselgeld bereithalten, Bankomaten mit Bargeld versorgt werden, hinzu kommen die Kosten für die Instandhaltung und für Versicherungen. Laut einer Studie kostet die Bargeldversorgung der EU rund ein halbes Prozent der Wirtschaftsleistung oder umgerechnet circa 70 Milliarden Euro im Jahr. "Wird vermehrt bargeldlos gezahlt, profitiert die Volkswirtschaft davon", sagt der deutsche Wirtschaftswissenschafter Gustav Horn im STANDARD-Gespräch. Denn digitales Bezahlen sei vor allem praktischer.

Online-Zahlungsdienstleister wiederum erhoffen sich von einer digitalen Bezahlzukunft mehr Einnahmen durch Gebühren bei Transaktionen und Daten, um das Einkaufsverhalten vieler Menschen nachvollziehen zu können, Verkäufer weniger Fehler und Zeitaufwand durch das Handling mit Bargeld und weniger Einbrüche in Läden, Regierungen mehr Möglichkeiten, gegen Schwarzzahlungen und Geldwäsche vorzugehen.

Gewaltiger Wandel

Für den indisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschafter Eswar Prasad steckt unser Geldsystem bereits jetzt in einem gewaltigen Wandel, der nicht nur unsere gesamte Wirtschaft, sondern auch unsere Art zu leben umkrempeln wird, wie er in seinem im Vorjahr veröffentlichten Buch "The Future of Money" schreibt. Rund 1,7 Milliarden Menschen, die nach wie vor kein Bankkonto haben, könnten mit mobilen Bezahldiensten über das Handy einfach und sicher Geld überweisen. Bezahldienste wie M-Pesa in Kenia würden es auch kleineren Unternehmen in abgelegenen Gebieten zunehmend erleichtern, Transaktionen vorzunehmen, schreibt Prasad.

Doch das Zahlen per Handy oder Laptop sei nur eine kleine Errungenschaft, verglichen mit dem, was noch bevorstehe. Denn der langsame Abschied vom Bargeld wird laut Prasad von einer Vielzahl anderer technologischer Entwicklungen vorangetrieben: einerseits von den Kryptowährungen, die allerdings oft zu unsicher seien, kaum als Wertaufbewahrungsmittel taugen und in vielen Fällen reine Spekulationswährungen bleiben. Sogenannte Stablecoins, die etwa an den Dollar oder an den Euro gekoppelt sind, sind laut Prasad die einzigen Kryptowährungen, die künftig tatsächlich die Rolle und Funktion von Geld übernehmen könnten.

Der Weg zum digitalen Euro

Andererseits von den Zentralbanken selbst, die mit ihren neuen digitalen Währungen den privaten Finanzakteuren und Kryptowährungen wie Bitcoin eine stabilere Alternative entgegensetzen wollen. Zwar betont die Europäische Zentralbank immer wieder, dass der digitale Euro, der sich momentan noch in seiner zweijährigen Testphase befindet, Geldscheine und Münzen nicht ersetzen, sondern diese nur ergänzen würde. Doch laut Prasad könnte digitales Zentralbankgeld, wenn es eines Tages großflächig verfügbar und leicht zugänglich ist, Millionen Menschen, die derzeit noch vom Bankensystem abgeschnitten und von Bargeld abhängig sind, Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen ermöglichen und damit durchaus eine weitere Alternative zu Bargeld sein.

Auch Horn geht davon aus, dass sich durch digitales Zentralbankgeld künftig Kosten sparen ließen, weil die Rolle eines Vermittlers wegfällt. Jede Bürgerin und jeder Bürger könne direkt bei der EZB ein Konto eröffnen. Im Vergleich zu Kryptowährungen, die laut dem Experten eigentlich keine wirklichen Währungen sind, weil der staatliche Garant dafür fehle, gebe es dadurch tatsächlich eine sichere digitale Währung.

Doch nicht alle schreiben der Verbreitung von Kryptowährungen und dem digitalen Euro ein so großes Gewicht zu. "Der digitale Euro kann eine Ergänzung sein zu digitalen Transaktionen und möglicherweise mehr Sicherheit und Stabilität bieten", sagt Marcel Fratzscher, Ökonom und Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, im STANDARD-Gespräch. Doch letzten Endes werde seine Bedeutung begrenzt sein. Auch Kryptowährungen werden in Zukunft an Bedeutung verlieren, weil sie von Regierungen so stark reguliert werden, dass sie kaum noch attraktiv sind, sagt der Experte.

Elektronische Spuren

Trotzdem werde sich der Trend in Richtung bargeldloses Bezahlen fortsetzen, sagt Fratzscher. Das berge wiederum eigene Risiken. Denn während Barzahlungen völlig anonym sind, hinterlassen elektronische Zahlungen Spuren. Einige befürchten deshalb künftig noch weitere Datenschutzprobleme. Nicht zuletzt können auch digitale Währungen gehackt oder von Regierungen missbraucht werden.

"Die Diskussion ums Bargeld ist häufig sehr emotional", sagt Fratzscher. Viele Menschen schätzen die vermeintliche Sicherheit, die der physische Kontakt mit Bargeld beinhaltet. Laut den Befürwortern ist Bargeld im Vergleich zu elektronischen Zahlungen besser, um auf die eigenen Ausgaben zu achten und Überschuldung zu verhindern. Zudem seien vor allem ältere und ärmere Menschen momentan noch sehr stark von Bargeld abhängig. "Bargeld kann ich dafür leichter verlieren, und es kann leichter gestohlen werden", sagt Fratzscher. "Theoretisch brauchen wir Bargeld aber nicht, damit unsere Wirtschaft funktioniert, solange wir digital bezahlen können."

Viele hängen noch am Bargeld

Einen Abgesang auf das Bargeld halten viele aber noch für zu früh. Denn für eine wirklich bargeldlose Gesellschaft müsste diese wohl noch weit digitalisierter sein – mit einer digitalen Infrastruktur, die Hackerangriffen standhält und allen zugänglich ist, und mit Nutzerinnen und Nutzern, die kein Problem damit haben, digitale Spuren zu hinterlassen. "Bargeld wird auch in Zukunft bleiben", sagt Horn.

Vor allem in Österreich scheint die Bindung zum Bargeld stark zu sein. Hierzulande sind laut einer Studie aktuell 64 Prozent gegen die komplette Abschaffung des Bargelds. Dafür, dass Bargeld noch lange weiterleben wird, spricht auch, dass es viele Menschen nach wie vor als Wertaufbewahrungsmittel verwenden. Studien zufolge befinden sich lediglich 20 Prozent der Euro-Geldscheine im Umlauf, der Großteil werde in Kassen, in den eigenen vier Wänden oder im Ausland gelagert und nur sporadisch für Zahlungen verwendet. Der absolute Bedarf an Bargeld in der EU nimmt sogar zu.

"Eine emotionale Bindung zum Bargeld wird es auch noch in 30 Jahren geben", sagt Fratzscher. Nur werden jene Menschen, die dann mit Bargeld zahlen, ungern gesehen werden, weil Bargeld auch für die Händler Mehraufwand bedeutet. "Und wer weiß, ob es dann überhaupt noch Banken gibt, wo sie das Bargeld hinbringen können." (Jakob Pallinger, 30.4.2022)