Traditionalisten müssten selig sein: Schwärze, Statik und etwas Slapstick prägen die Inszenierung von Sandra Leupold. Dazu gibt es historische Kostüme.

Werner Kmetitsch

Alles Wagner, oder was? "Wagner ist in jedem Werk ganz er selbst", stellte Thomas Mann fest. Und des Komponisten treue Gattin Cosima wusste: "Vom Holländer zum Parsifal, wie groß der Weg und doch wie gleich das Wesen!"

Der Holländer also. In ihrer Inszenierung des Fliegenden Holländers an der Oper Graz wurde Richard Wagner von Sandra Leupold sogar ins Geschehen der Schauermärchenoper geholt. Hoch oben auf der Hinterbühne sitzt der Gesamtkünstler (Schauspieler Stephan Offenbacher) und lenkt seine Figuren wie Marionetten: als erregter Strippenzieher, als enthusiastischer Dirigent der Szene. Ein mäßig origineller Regieeinfall, der die romantische Oper fallweise zur Komödie macht: Wenn Offenbacher beim Fest im dritten Aufzug vor Freude einen Handstand probiert oder vorher unter Mühen den Vorhang hebt, begackert das Publikum den Slapstick freudig.

Kein szenischer Sturm

Aber immerhin tut sich da was auf der Szene! Vor dem Action-Teil im ersten Aufzug – Stichwort Schiffe und Sturm – drückt sich die Regisseurin nämlich weitgehend. Auch sonst ereignet sich bei Leupold auf der leeren Fläche einer kohlschwarzen Hinterbühne (Mechthild Feuerstein) meist nur zeitlupenartiges Schreiten plus ein permanentes Aneinander-vorbei-Singen der Hauptfiguren. Der fliegende Holländer und Senta ähneln so zwei Kostümschinkendarstellern mit bizarren Verhaltensmustern. Das Vokalgebaren des Untoten und der aufopferungsfixierten Kapitänstochter tun das Übrige dazu, eher Karikaturen als Menschen wahrzunehmen: Helena Juntunen operiert mit einem putzigen, spitzen Sopran, Kyle Albertson mit einem limitierten, quäkenden Bassbariton.

Da hat es im zweiten Aufzug eine balsamische Wirkung, wenn Maximilian Schmitt als Jäger Erik die Szene betritt und Senta seine Liebe gesteht. Schmitts geschmeidiger Gesang hat messingweichen Glanz; der höhensichere Tenor steht in der Michael-Schade-Nachfolge, hat aber in der Attacke mehr Substanz.

Auch Mario Lerchenberger steht als Steuermann ein heller, belastbarer Tenor zur Verfügung. Wilfried Zelinka verschachert als Daland seine Tochter Senta für Perlen und Klinker an einen wildfremden Mann – damit auch der Letzte seine Geldgier kapiert, lässt ihn Leupold ständig eine kleine Schatzkiste herumtragen. Der Routinier tut dies mit der Eleganz eines Gregory Peck und singt verlässlich, aber auch etwas gleichförmig. Genial: Mareike Jankowski als Sentas Amme mit einer energischen Fräulein-Rottenmeier-Strenge. Drei fähige Ensemblemitglieder der Grazer Oper.

Die Traditionalisten unter den Opernfreunden müssten trotz aller Insuffizienzen selig sein mit Leupolds Regie: Bei der Ouvertüre ist der Vorhang unten, der Holländer trägt tatsächlich, wie von Wagner gefordert, eine schwarze spanische Tracht, und auch die Matrosen und die Spinnerinnen sind vergangenheitsselig gekleidet (Kostüme: Jochen Hochfeld).

Verklärungsschluss

Wo gibt’s das sonst noch? In Graz wird sogar der Verklärungsschluss von 1864 gegeben. Hierzu lässt Leupold Senta aber ins Publikum flüchten, und Wagner empfängt unter einem Brautschleier ein Bildnis des kuriosen Paares von ganz oben.

Die Grazer Philharmoniker bewältigen den Dreiteiler unter der Leitung von Roland Kluttig solide, sind aber von Höchstleistungen und klanglichen Finessen weit entfernt. Mehr als sein Gesang bleibt beim Chor (Leitung: Bernhard Schneider) der mimische Spott der Spinnerinnen im Gedächtnis, mit dem sie Sentas Vortrag der Ballade kommentieren … Da ist allen klar, was sie von der spinnerten Tochter ihres Chefs halten. Lautstarke Premierenfreude für all das in Graz. (Stefan Ender, 25.4.2022)