Einen Monat lang wird Salzburg zum Mayröcker-Land. Das Marionettentheater hat sogar eine eigene Mayröcker-Puppe erschaffen.

Foto: Ohnetitel

Das Programm gehört zweifelsfrei zu den bemerkenswertesten Kunst- und Kulturprojekten, die das Land Salzburg seit Jahren zu sehen bekommen wird: Den gesamten Monat Mai über gibt es in Stadt und Land jeden Tag eine neue Premiere, die sich mit der großen österreichischen Schriftstellerin Friederike Mayröcker beschäftigen wird. Also 31 Tage – 31 Premieren; vieles in der Landeshauptstadt, aber auch vieles in den Gauen.

Friederike Mayröcker ist vergangenes Jahr im Alter von 97 Jahren verstorben. Bevor zum hundertsten Geburtstag das erwartbare Erinnern einsetze, wolle man dem Werk Mayröckers lebendig begegnen, sagt Arthur Zgubic vom kleinen freien Theater- und Kulturvermittlungskollektiv Ohnetitel. Zgubic hat gemeinsam mit Dorit Ehlers und Sabine Jenichl das Projekt Akte Mayröcker entworfen.

Grab der Poesie

Als Co-Produzent ist die Szene Salzburg mit an Bord. Und dann gibt es noch jede Menge Institutionen, die an dem aufwendigen Vorhaben mitwirken: das Marionettentheater ebenso wie das Literaturhaus, das Saalfeldener Kunsthaus Nexus ebenso wie die Pinzgauer Lokalbahn, die Plakat- und Außenwerbungsfirma Epamedia wie auch der freie Sender Radiofabrik oder das Filmkulturzentrum Das Kino. Insgesamt werden "so an die 150 Menschen" das Programm bestreiten und gestalten, schätzen Ehlers und Zgubic.

Mayröcker hätte das Programm gefallen, sagen ihre Freunde.
Foto:APA/Roland Schlager

Bei Ohnetitel weigert man sich jedenfalls standhaft, von einem Festival zu sprechen. Dazu seien die Beiträge zu unterschiedlich, die Locations zu verschieden und ein Monat einfach zu lang. Das Ganze sei vielmehr "als eine Expedition" in den "Kosmos Mayröcker" zu verstehen.

Und natürlich gilt es auch, die Musealisierung der großen Dichterin zu verhindern. Ein Ansinnen, dem auch Bodo Hell viel abgewinnen kann. Hell, selbst vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, war bis zu Mayröckers Tod ein enger Freund der Dichterin: "Die Gesamtausgabe ist ein Grab der Poesie", sagt Hell im STANDARD-Gespräch.

Insta und Gulasch

Basislager – oder Basecamp, wie man heute gerne sagt – der Expedition ist der Salon der Academy im Salzburger Andräviertel. Dass das mit allen technischen Finessen ausgestattete "Wohnzimmer" einer bekannten Salzburger Kommunikationsagentur einen Monat als Zentrum des Mayröcker-Kosmos fungiert, sagt viel über den Ansatz der Aktion: Im Parterre befindet sich die Academy-Bar, ein beliebter Szenetreffpunkt in Salzburg; die Dichterin soll einen Monat lang nicht ehrfürchtig bestaunt werden, sondern als Work in Progress erlebt und auch gefeiert werden. Frisch, unkompliziert und lebendig.

Da passt es gut ins Konzept, dass Schüler und Schülerinnen des Musischen Gymnasiums aus Salzburg die Akte Mayröcker auf Instagram begleiten oder dass im Hotel Blaue Gans "Fritzis Gulasch" gekocht wird. Gulasch war die Leibspeise von Mayröcker.

Anekdoten und Zettelwirtschaft

Und selbst die direkte Beschäftigung mit den Texten einer der bekanntesten und gleichzeitig einer der am wenigsten gelesenen österreichischen Literatinnen, wie Veranstalter Zgubic sinngemäß sagt, kommt leichtfüßig daher. Schriftsteller Bodo Hell hat seine Lesung aus den heiligen Hallen der Literatur in die Pinzgauer Lokalbahn verlegt. Mit musikalischer Begleitung, versteht sich.

Hell ist als enger Freund Mayröckers gleich mehrmals im Einsatz. Neben der Landpartie mit der Pinzgauer Schmalspurbahn wird er auch zwei Mal im Rahmen der Gespräche "Mayröckers Erben" zu sehen und zu hören sein.

Dabei wird es durchaus auch Anekdotisches zu hören geben. An solchen Anekdoten und Gschichterln mangelt es bei Mayröcker wahrlich nicht. Ihre "Zettelwirtschaft" – gleich zwei Wohnungen waren mit Büchern und Notizzetteln übersät – ist legendär und wird in einer Salzburger Buchhandlung mit einer eigenen Aktion gewürdigt.

Role model für Frauen

Dieses spielerische Element zieht sich durch das gesamte Programm. Es gibt Trickfilme, Popsongs mit Texten von Mayröcker, Plakatkunst im öffentlichen Raum und auch bildende Kunst. Die Dichterin hat ja viele ihrer Manuskripte mit eigenen Zeichnungen versehen.

Detail aus dem Original-Manuskript von Mayröckers letztem Buch.
Foto: Thomas Neuhold

Bei aller Verspieltheit im Programm wird wohl auch Gesellschaftspolitisches eine Rolle spielen. Friederike Mayröcker war ja für viele Frauen ein Vorbild, wie man eine Existenz im männlich dominierten Literaturbetrieb aufbauen kann.

Die Verstorbene wäre ziemlich sicher gerne selbst aufgetreten, sagt Bodo Hell. Indirekt macht sie das sogar: Das Salzburger Marionettentheater hat eine eigene Mayröcker-Puppe geschaffen und lässt diese in einem Interview zum Auftakt des Monats am kommenden Sonntag mit Mayröcker-Texten selbst auf Fragen antworten. Die Aufführung wird am 8. Mai wiederholt. (Thomas Neuhold, 26.4.2022)