Uno-Generalsekretär António Guterres bei Präsident Tayyip Erdogan in Ankara.

Auf seinem Weg nach Moskau, wo er am Dienstag Wladimir Putin treffen soll, machte Uno-Generalsekretär António Guterres am Montag Station in Ankara: Damit würdigte er die Rolle der Türkei, die momentan die einzige aktive Plattform für direkte russisch-ukrainische Gespräche bietet. Im türkischen Antalya hat bisher auch das einzige Treffen der beiden Außenminister, Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba, stattgefunden. Konkrete oder gar ermutigende Ergebnisse auch der nachfolgenden Kontakte gab es jedoch nicht.

Auch Guterres’ Absicht, Putin von einem Ende des Kriegs zu überzeugen, billigt man nur geringe Chancen zu: Aber als Uno-Generalsekretär muss er es immerhin versuchen. Manche hätten ihn lieber früher in Kiew und Moskau – und in dieser Reihenfolge – gesehen, der Besuch wurde gründlich vorbereitet. Noch, meint Galip Dalay von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, ist die Zeit für Vermittlung in diesem Konflikt jedoch wohl nicht gekommen.

Er hat sich die türkische Rolle näher angesehen und sie in einer Veranstaltung des Bruno-Kreisky-Forums für Internationalen Dialog analysiert. Das Treffen zwischen Lawrow und Kuleba, sagt er, sei vor allem ein Gewinn für die Türkei gewesen, ein Zuwachs an Sichtbarkeit und internationaler Geltung.

Die möglichen Vermittler

Neben der Türkei wurden als mögliche Vermittler bereits Israel – dessen Premier Naftali Bennett, ebenfalls erfolglos, schon Anfang März bei Putin in Moskau war – , aber auch China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) genannt: Gemeinsam sei diesen Staaten, dass sie allesamt in Balanceakte verstrickt sind, sagt Dalay, was ihre Positionierung zwischen Russland und der Ukraine betrifft. Die Funktion eines möglichen Vermittlers erleichtert es, eine klare Parteinahme für die eine oder andere Seite zu vermeiden.

Wobei diese im Fall der Türkei jedoch sehr wohl erfolgt ist, zugunsten Kiews: Ankara liefert Waffen, vor allem Hochtechnologiedrohnen, an die Ukraine und hat den Bosporus und die Dardanellen mit dem Verweis auf das Montreux-Abkommen für Kriegsschiffe geschlossen. Letzteres hat für Moskau bisher wenig Bedeutung, das könnte sich jedoch ändern, wenn der Krieg länger dauert. Denn Russland hat ja auch seine Interessen am Mittelmeer – wie in Syrien und Libyen. Genau in diesen Ländern und zusätzlich in Bergkarabach – also außerhalb des Nato-Kontextes, wo es keine Beistandsverpflichtung gibt –, könne Russland der Türkei jedoch auch schweren Schaden zufügen, stellt Galip Dalay fest. Kein anderes Nato-Land sei so verwundbar.

Distanz halten und nicht eingreifen

Deshalb vermeidet Ankara offene antirussische Stellungnahmen, hat keine Sanktionen verhängt und versucht, funktionierende Beziehungen zu Moskau aufrechtzuerhalten: Um dieses "Auf-dem-Zaun-Sitzen" – also Distanz halten und nicht einzugreifen – zu argumentieren, ist generell eine Mediatorenrolle hilfreich.

Dass Russland seinerseits darauf einsteigt, soll eine Botschaft an alle anderen Staaten sein, die sich nicht der Haltung des "Westens" und dessen Sanktionen angeschlossen haben: Das ist global immerhin die Mehrheit. "Sie passen sich an eine Welt an, in der der westliche Fußabdruck immer schwächer wird", sagt Dalay. Während die USA immer weniger Appetit auf geopolitische Aktivitäten zeigt, werde Russland von vielen als der kommende Sicherheitspartner wahrgenommen.

"Auf dem Zaun sitzen"

Also bleibt man im Fall des Ukraine-Kriegs erst einmal "auf dem Zaun sitzen", spielt den Zaungast, und wartet, was passiert. Und Putin seinerseits kann zeigen, dass er für Diplomatie offen wäre, während der Westen einfach nur "antirussisch" ist. Er sei mehr am Reden über Verhandlungen interessiert als an Verhandlungen selbst, sagt Dalay. Russland hat das öffentliche Narrativ im Westen verloren – und ist interessiert daran, dass das bei den Zaunsitzern nicht der Fall ist.

Solange über diesen Krieg nur im Kontext "Nato versus Russland" geredet wird, werden sich global nur wenige Staaten dafür interessieren, fordert Dalay eine neue Sicherheitsdebatte ein. Denn was die Kosten des Ukraine-Kriegs betreffe, könnten die Folgen für Staaten beispielsweise in Afrika, etwa durch aus dem Krieg resultierende Lebensmittelknappheit, viel dramatischer sein: "Während es im Westen um Lebensstandardeinbußen geht, könnte es anderswo um Leben und Tod gehen." Die Erzählweise dieses Kriegs müsse überdacht werden, es brauche eine globale Debatte über die Kosten. (Gudrun Harrer 26.4.2022)