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Am 27. April ist internationaler Tag gegen den Lärm – damit meint man Geräusche, die man als negativ oder anstrengend wahrnimmt. Wahre Stille ist dagegen selten, man spricht eher von der Abwesenheit von Lärm. Die ist aber sehr entspannend.

Foto: Getty Images/Petar Chernaev

Ein quadratischer Raum, ausgelegt mit schalldämpfenden Reisstrohmatten. Die Wände: weiß und leer. Am Boden: ein aus Sitzkissen angedeuteter Kreis. Acht schwarze, viereckige Polster. In der Mitte: eine blaue Keramikschale, in der eine Kerze brennt. "Das Quadrat des Raumes steht für die Welt, der Kreis für die Verbundenheit untereinander und mit Gott", erklärt Eduard Baumann, Theologe und Kontemplationslehrer beim Verein Via Cordis. Kurz vor 19 Uhr betreten die ersten Teilnehmenden den Raum. Ein Mann platziert sich im Schneidersitz direkt aufs Kissen. Eine Frau wählt ein Stockerl, eine andere einen runden Holzhocker mit Stoffbezug. Beide setzen sich aufrecht hin. Einige nehmen eine Decke mit in den Raum. Mit dem Meditationsleiter, der uns kurz begrüßt, sind wir zu sechst.

Das Salzburger Bildungszentrum St. Virgil lädt alle zwei Wochen zur offenen Meditation im Schweigen ein, um Kontemplation zu praktizieren. Kontemplation bedeutet laut Duden eine Art "innere Sammlung", ein "geistiges Sichversenken". Stille Einheiten gibt es in jeder Religion, der Verein Via Cordis folgt der christlichen Tradition. "In der Stille zu sein heißt, sich der Gegenwart zu öffnen", sagt Baumann, der vor 35 Jahren mit dem Meditieren angefangen hat.

Lärm entsteht im Kopf

Stille ist in der vom Lärm geplagten Gesellschaft ein seltenes Gut. Geräusche wie jene von Autos, Flugzeugen, Rasenmähern, Laubbläsern, aber auch Musik, Stimmengewirr, Kindergeschrei oder Schall von Spielkonsolen, Fernseher und Radio sind allgegenwärtig. Was davon jemand als lärmend empfindet, ist sehr individuell. Im Prinzip handelt es sich bei all diesen akustischen Wahrnehmungen erst einmal nur um Schall, der in Form von Schwingungen an die Ohren gelangt. Wird das Geräusch negativ bewertet, wird es als Lärm wahrgenommen. "Lärm ist demnach etwas, das erst durch die Beurteilung im Kopf zu Lärm wird", erklärt Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der Med-Uni Wien, ein paar Stunden zuvor im Zoom-Interview.

Aber auch, wer der Balance halber bewusst die Stille sucht, begegnet ihr meistens nicht gänzlich. "Es gibt praktisch nur mehr wenige Orte, an denen tatsächlich Stille vorherrscht, und die sind wenig gemütlich, wenn man ans Weltall denkt", meint Hutter. Denn Stille bedeutet, überhaupt keinen Schallemissionen ausgesetzt zu sein. Ruhe sei deshalb der angemessenere Begriff. Ruhige Orte wiederum können durchaus mit Geräuschen versetzt sein. Auch hier gilt: Welche Geräusche oder Klänge ein Mensch nicht als störend oder nervig empfindet, sondern als erholsam, ist sehr unterschiedlich.

An diesem Abend ist im Meditationsraum nur das leise Zwitschern der Vögel im Park zu vernehmen, das durch die verglaste Wandseite hereindringt. Wir strecken die Hände nach oben und bringen sie vor dem Herzen in Gebetshaltung zusammen. Eduard Baumann rollt eine weiße, apfelgroße Marmorkugel zu seiner Sitznachbarin. "Lasst uns hören, wie unsere Namen klingen", leitet er den Abend ein. Die Kugel ist quasi ein Corona-Erbe, erklärt er später. Normalerweise reicht man einen Gegenstand nach Wahl herum, um allen Teilnehmenden nach der Reihe das Wort zu geben. Bei diesem Ankommensritual erzählt man sich gegenseitig, mit welchen Gefühlen man in den Raum getreten ist, legt ab, was tagsüber war, und beginnt, sich bewusst der Gegenwart zu widmen.

Inneres Statement der Ruhe

Dreimal der Gong auf der Klangschale. Danach gleitet die Gruppe klangvoll in die Stille, wie Baumann es nennt: Wir singen mehrmals hintereinander "Schalom", das hebräische Wort für Frieden, Heil und Wohlergehen, das an diesem Abend insbesondere für den inneren Frieden, die innere Zufriedenheit, steht. Auch das ist keine Stille im engeren Sinn, aber ein beruhigendes, wohltuendes Geräusch. Es soll einen Übergang von der äußeren in die innere Stillehaltung ermöglichen. 25 Minuten schweigen. Die Vögel, sie zwitschern noch immer. Die Gedanken im Kopf, sie kreisen. Es war ein turbulenter Tag. Das Rattern eines Hubschraubers dringt herein, zieht aber rasch vorbei.

Wer sich in die Stille – oder vielmehr in die Ruhe – zurückzieht, setzt ein inneres Statement. "In dem Moment, in dem man sich bewusst der Ruhe widmet, unternimmt man bereits einen wesentlichen Schritt für seine Erholung", erklärt Umweltmediziner Hutter. Egal, ob man meditiert, sich auf eine Parkbank setzt oder anderweitig zur Ruhe kommt. "Es geht um das bewusste Innehalten", sagt er. Sind Stille und Ruhe eine Art Urlaub für die Seele? "Ja, weil sie uns Erholung ermöglichen."

Immer wieder weg von dem zu kommen, was man individuell als Lärm empfindet, sei für jeden Menschen essenziell. Denn Lärm erzeuge Stress. Der wirke sich körperlich, sozial und vor allem auch mental aus, etwa auf die geistige Leistungsfähigkeit, die Konzentration, das Gedächtnis. Auf der emotionalen Ebene macht sich Lärm durch Nervosität, Aggression, Anspannung, Ärger bis hin zur Frustration bemerkbar.

"Wir können nicht unter Lärm-Dauerstress leben ohne höheres Erkrankungsrisiko wie etwa für Herzinfarkt oder Schlaganfall", attestiert Hutter. Deshalb sei es sehr wichtig, die Lärmquellen einzudämmen. Ausgleichend hilft es auch, immer wieder stille oder – einfacher machbar – als ruhig empfundene Orte aufzusuchen. So lässt sich der Stress, den man unter bestimmten Geräuschkulissen ausgesetzt ist, zumindest reduzieren. Das entlastet den gesamten Organismus: Das Stresssystem wird nicht mehr in Dauerschleife aktiviert, was befreiend wirkt.

Rascher Weg zur Entspannung

Die umweltmedizinischen Erkenntnisse machen sich schon nach 25 Minuten auf dem Meditationskissen bemerkbar: Der Puls beruhigt sich. Die Atmung wird langsamer. Die Gesichtsmuskeln entspannen sich. Die Hektik des Tages rückt in den Hintergrund. Das Gefühl, eine "innere Präsenz aufzubauen", wie es einer der Teilnehmenden später formuliert, macht sich breit. Die Beine drohen allerdings einzuschlafen, da kommt die Gehmeditation zwischendurch gelegen. Sie wird durch einen zweifachen Gong eingeleitet: Wir bewegen uns in drei langsamen Runden schweigend durch den Raum, setzen einen Fuß vor den anderen. Jemand schiebt die Terrassentür auf. Das nun intensiver zu vernehmende Vogelgezwitscher und ein Stoß frischer Luft erfüllen das Zimmer.

Es folgt eine kurze Körperübung als Vorbereitung auf die zweite Sitzrunde. Der Gong schlägt dreimal. Noch einmal 25 Minuten sitzen. Schweigen. Wieder ein Hubschrauber über der Stadt. Ein Magen knurrt. Manchmal holt jemand tief Luft oder atmet hörbar aus. Das alles stört nicht. Längst hat sich im Inneren ein Stück weit Ruhe breitgemacht. Ein letzter Gongschlag. Ende. Augen auf. Ein gemeinsam gesungenes "Amen", ein kurzes Gebet. Die Marmorkugel rollt erneut von einem zum anderen. Wer möchte, spricht. "Ich bin jetzt völlig ruhig und habe heute eine besondere Verbundenheit gespürt", sagt eine Frau mit kurzen, grauen Haaren und rollt die Kugel weiter. Das letzte Wort hat die Dame am Stockerl: "Dieser innere Frieden bedeutet mir sehr viel." (Maria Kapeller, 27.4.2022)