Die hohe Inflation kommt mittlerweile im Geschäft an. Die SPÖ fordert deshalb eine Senkung der Umsatzsteuer.

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"Dass die Preise bei Essen, Wohnen, Heizen und Treibstoff eklatant steigen, sehen die Leute an ihren Geldbörsen", sagt Jörg Leichtfried. "Dafür brauchen wir keine Kommission." Der SPÖ-Vizeklubchef bekräftigte am Montag die Forderung der SPÖ, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel vorübergehend auf null zu senken. Vom neuen Expertengremium zur Inflationsbekämpfung hält er sichtlich wenig. "Die Politik muss dringend handeln", forderte Leichtfried.

Rechtlich wäre eine Senkung bis hin zur Aussetzung der Umsatzsteuer auf Lebensmittel jedenfalls möglich. Die entsprechende EU-Richtlinie hat sich erst kürzlich geändert. Aber wäre die Maßnahme überhaupt sinnvoll? Würden die Unternehmen die Senkung der Steuer an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben? Oder könnten sie die Preise schlicht erhöhen, sodass sie nur selbst von der Steuererleichterung profitieren?

Beliebte Maßnahme

Neu sind Senkungen der Umsatzsteuer keineswegs. Sie werden als wirtschaftspolitische Maßnahme immer wieder eingesetzt, zuletzt auch in Österreich und Deutschland. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzufedern, senkte etwa die deutsche Bundesregierung die Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr 2020 vorübergehend ab. Der Regelsteuersatz wurde für sechs Monate von 19 auf 16 Prozent reduziert; der verminderte Steuersatz, der für Grundnahrungsmittel gilt, von sieben auf fünf Prozent.

Nach Auslaufen der Maßnahme analysierte das Statistische Bundesamt, inwieweit sich die Steuerentlastung tatsächlich auf die Preise ausgewirkt hat. Dabei kam es zu einem differenzierten Ergebnis: Theoretisch hätte sich der Verbraucherpreisindex (VPI) um 1,6 Prozentpunkte reduzieren müssen. Tatsächlich ging er aber nur um 0,5 Prozent zurück und erhöhte sich bei Auslaufen der Steuersenkung wieder sprungartig. Größere Effekte hatte die Maßnahme auf langlebige Gebrauchsgüter wie Waschmaschinen, weniger starke auf Verbrauchsgüter wie Lebensmittel.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), das die vorübergehende Senkung der Umsatzsteuer für Gastronomie und Hotellerie in Österreich analysiert hat. Die Steuersenkung schlug sich demnach nur zum Teil in den tatsächlichen Preisen nieder. "Vor allem die Hotellerie hat die Senkung nur bedingt an die Verbraucher weitergegeben", sagt Studienautor Simon Loretz zum STANDARD. "Den späteren Anstieg der Steuer haben die Unternehmen dann aber fast vollständig aufgeschlagen." Es gab also eine "Asymmetrie", die dazu führte, dass die Preise stiegen.

Flexibilität bei Preisen

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich gab die Wirtschaft die Steuersenkung also nur teilweise an die Verbraucher weiter. Die Regierungen nahmen das allerdings in Kauf: Ziel war nicht nur, die Konsumenten zu entlasten, sondern auch die Wirtschaft anzukurbeln und die Unternehmen zu unterstützen. Das ist jetzt anders: Laut SPÖ, FPÖ und Gewerkschaft soll die Steuersenkung Menschen unter die Arme greifen, die besonders stark von der Inflation betroffen sind – und nicht Unternehmen fördern.

Käme es zu einer Reduktion der Umsatzsteuer, würden die Preise auf Nahrungsmittel wohl sinken, sagt Loretz. Dass die Entlastung vollständig bei den Verbrauchern ankommt, glaubt er aber nicht. Abhängig sei das vor allem davon, wer bei den Preisen flexibler ist – die Unternehmen oder die Verbraucher. Bei Lebensmitteln sieht Loretz dabei zwei Probleme: Zum einen ist die "Nachfrageelastizität" bei Essen gering. Jeder Mensch braucht Lebensmittel und kann schwer auf Alternativen umsteigen. Zum anderen gibt es im österreichischen Handel nur wenige Große, die dank ihrer Marktmacht freier bei der Preisgestaltung sind.

Schwierige Umsetzung

Damit eine Senkung der Umsatzsteuer effektiv ist, forderte Leichtfried von der SPÖ am Montag Sanktionen für Unternehmen, die die Preissenkung nicht weitergeben. Eine gesetzliche Pflicht zur "Weitergabe von Abgabensenkungen" gibt es an sich jetzt schon, für die Hotellerie wurde sie zuletzt ausgesetzt. Unternehmen in der Praxis zu bestimmten Preisen zu zwingen, wäre aus Sicht von Loretz aber nur schwer denkbar. "Wir haben keine staatlich gelenkte Preissetzung. Da gibt es kaum umsetzbare Wege." Im Energiebereich, der zum Teil staatlich ist, sei das leichter.

Laut dem Experten wären gezielte Zahlungen wie der Energiebonus oder andere Sozialleistungen treffsicherer. Fraglich sei zudem, wann und wie die Maßnahme wieder zurückgenommen werden würde. "Sobald die Steuersenkung aufgehoben wird, hätten wir einen sofortigen Preisanstieg", sagt Loretz. (Jakob Pflügl, 26.4.2022)