Geiger Gidon Kremer brillierte mit Weinbergs Violinkonzert.

Foto: Angie Kremer

Wien – Eine Art Uraufführung personeller Art erlebten die Symphoniker unlängst: Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada trat spontan zurück, da – so das Orchester – sein Vertrag nicht über 2025 verlängert wurde. Seltsam. Das Orchester hat allerdings eine substanzvolle Anzahl dirigierender Partner, die für Niveau sorgen und die Symphoniker gut an Solisten von Weltformat anbinden können.

Das ist wichtig. Und besonders wichtig war es im Konzerthaus, wo Geiger Gidon Kremer zur Feier seines 75. Geburtstags Mieczysław Weinbergs Violinkonzert op. 67 spielte. Die Werkwahl ist logisch. Kremer setzt sich seit jeher für diesen sowjetischen Komponisten polnisch-jüdischer Herkunft ein, der vor den Nazis floh und auch unter Stalin litt. Unlängst erschien bei ECM eine fulminante Aufnahme mit Kremers Versionen von Weinbergs Violinsonaten.

Kern der Töne

Auch im Konzert versteht Kremer Virtuosität als Kunst, dem Instrumentalen eine "humanisierte" Aura zu verleihen: Das Kühle wird zum Singenden, das Klagende zum Weinenden. Kremer drang also tief in den emotionalen Kern der Töne und Strukturen ein. Nichts war vordergründiger Glanz. Alles atmete jenes Wesentliche, das nicht in den Noten stehen kann; im Großen Saal des Konzerthauses behielt Kremers Vortrag dabei seine Präsenz auch im Fragilen (wie etwa im zweiten Satz).

Mit den von Ingo Metzmacher behutsam und prägnant dirigierten Symphonikern ergab sich somit ein packender Dialog, welcher das Kontrastreiche und sanft Moderne des Werkes transportierte. In der von Kremer der leidenden Ukraine gewidmeten Zugabe, Igor Lobodas Requiem, kamen alle Qualitäten komprimiert als intime Trauerintensität zum Vorschein, aus der ein ukrainisches Volkslied aufstieg. Bemerkenswert wurde der Abend auch durch die Rahmenwerke: Ustwolskajas Symphonisches Poem Nr. 2 war so wuchtig wie diskret, und Schostakowitsch zitatenvoller 15. Symphonie verliehen Metzmacher und Orchester detailstark Glanz und Pointiertheit. (Ljubisa Tosic, 25.4.2022)