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Osman Kavala ist im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten in der Türkei zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt worden.


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Der am Montagabend zu lebenslanger Haft verurteilte Kulturmäzen Osman Kavala ist nicht nur ein politischer Gegner von Recep Tayyip Erdoğan, sondern auch habituell das genaue Gegenteil des Präsidenten. Osman Kavala ist ein zurückhaltender, höflicher Mensch, der anderen zuhört und sein Gegenüber mit Empathie wahrnimmt.

Er ist Kosmopolit und Intellektueller, der zu den ungewöhnlichsten Unternehmern der Türkei gehört. Als sein Vater 1982 starb, musste er mit 25 Jahren das Familienunternehmen Kavala Holding übernehmen. Er nutzte seinen plötzlichen Reichtum, um gegen die Angst und drohende intellektuelle Ödnis nach dem Militärputsch 1980 die Mittel für die Gründung des linken Verlags Illetisim bereitzustellen und gleichzeitig die Modernisierung der Türkei voranzutreiben.

Kavala hatte sein Studium in Manchester abgeschlossen und in Großbritannien den Beginn der digitalen Revolution miterlebt. Zusammen mit einem Freund importierte er die ersten Computer in die Türkei. Nach und nach verkaufte er mehr und mehr Sparten der Holding, die auch im Rüstungsbereich engagiert war, was ihm später immer wieder vorgeworfen wurde, und konzentrierte sich zunehmend auf seine kulturellen und politischen Interessen.

"Very British"

Er gründete die Kulturstiftung Anadolu-Kültür und unterstützte durch sie Projekte, die die Aussöhnung zwischen Türken und Kurden und Türken und Armeniern förderten. Er war Mitgründer der NGO Helsinki Citizens' Assembly – was ihm später den Vorwurf einbrachte, er sei ein Handlanger des US-Milliardärs George Soros – und er arbeitete intensiv mit anderen europäischen Kulturstiftungen zusammen.

Als er im Oktober 2017 auf dem Flughafen verhaftet wurde, kam er gerade vom Besuch eines Projekts im südostanatolischen Gaziantep zurück, welches er gemeinsam mit dem Goethe-Institut initiiert hatte. Wer Osman Kavala vor seiner Verhaftung traf, sah sich einem großen, etwas hageren Mann mit grauem Bart und Fliege gegenüber, der auch viele Jahre nach seinem Studium immer noch "very British" wirkte.

Festnahme nach Freispruch

Selbst nach seiner Inhaftierung blieb Kavala lange gelassen und sagte, er vertraue auf die Justiz. Das änderte sich erst, als er unmittelbar nach seinem Freispruch im Februar 2020 auf Drängen Erdoğans sofort wieder verhaftet und erneut angeklagt wurde. Ihm wurde klar, dass es für ihn keine unabhängigen Richter mehr geben würde – er weigerte sich fortan, vor Gericht zu erscheinen.

In einer letzten Stellungnahme vor der Urteilsverkündung von Montag, bei der er wegen versuchten Umsturzes der Regierung im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, warf er dem Gericht per Videoschaltung vor, sich für ein politisches Attentat auf ihn instrumentalisieren zu lassen. Allerdings sah er trotz allem noch einen positiven Effekt. Sein Prozess werde hoffentlich dazu führen, das anderen, nach ihm kommenden, ein solches Verfahren erspart bleiben würde. (.Jürgen Gottschlich, 26.4.2022)