Sie stecken in Blut, Speichel sowie Muttermilch und fungieren im Körper als wichtige Signalträger. Die Wissenschaft nimmt extrazelluläre Vesikel immer stärker in den Fokus.

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Hinter dem sperrigen Begriff extrazelluläre Vesikel (EV) stecken winzige Strukturen, die im Körper eine Fülle essenzieller Aufgaben erfüllen und den Ablauf lebenswichtiger Vorgänge erlauben. EV sind bläschenartige, von einer Membran umgebene Strukturen. Die kleinsten EV sind rund 30 Nanometer groß, man spricht dann auch von Exosomen, die größten bis zu rund 5000 Nanometer.

Sie werden von Zellen erzeugt und von diesen an die Umgebung abgegeben. Man findet sie in fast allen Körperflüssigkeiten, etwa in Blut, Speichel oder Muttermilch. Zwar wurden EV schon vor rund 60 Jahren in der Literatur beschrieben, ihre vielfältigen Funktionen hat man aber erst vor wenigen Jahren zu verstehen begonnen.

Verkannte Signalträger

"Lange Zeit hat man extrazelluläre Vesikel als eine Art Müllentsorgungssystem der Zelle interpretiert", erklärt Eva Rohde, Vorständin des Instituts für Transfusionsmedizin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU). "Erst 2007 haben Wissenschafter herausgefunden, dass sie auch eine Signalfunktion haben."

EV stellen neben dem Zell-Zell-Kontakt und den Hormonen einen dritten zentralen Kommunikationsweg innerhalb des Körpers dar. In der medizinischen Therapie versprechen sie deshalb zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise kann man sie mit unterschiedlichen Molekülen beladen und diese dann gezielt in Zielzellen einschleusen, wo sie den Wirkstoff freisetzen.

Forschungsschwerpunkt

An der PMU gibt es seit etwa vier Jahren einen Forschungsschwerpunkt zu extrazellulären Vesikeln. Motivation dafür liefert der Umstand, dass herkömmliche Zelltherapie, also die Transplantation von lebenden Zellen in krankes Gewebe, oft Nebenwirkungen hat.

Die Transplantation lebendiger Stammzellen birgt zudem immer das Risiko, dass sich diese übermäßig stark vermehren und ein Tumor entsteht. "Wir haben uns überlegt, ob die winzigen Vesikel nicht den therapeutischen Job erledigen können, den man sich von Stammzellen erwartet", sagt Rohde.

Sie arbeitet mit EV, deren Volumen etwa ein Dreimillionstel des Volumens einer Zelle ausmacht. Eine besondere Rolle spielen dabei Stützzellen. Diese dienen überall im Körper zur Stabilisierung von Gewebe und zum Knochenaufbau. "Darüber hinaus haben sie aber auch eine Funktion zur Aufrechterhaltung der Organe", sagt Rohde. "Zum Beispiel bei der Bildung von Narbengewebe und um Entzündungen einzufangen." Idealerweise stammen die Stützzellen, aus denen EV gezüchtet werden, aus möglichst jungem menschlichem Gewebe.

Zellen aus der Nabelschnur

Das jüngste Gewebe im erwachsenen Organismus ist die Nabelschnur kurz nach der Geburt. Daraus isolieren die Salzburger Forschenden Stützzellen, aus denen in der Folge die extrazellulären Vesikel entstehen. Unter standardisierten, optimalen Bedingungen gibt eine Zelle pro 24 Stunden rund 1000 Vesikel ab. Entzündungen zu unterdrücken und das Entstehen von Narbengewebe zu reduzieren sind die ersten konkreten Anwendungen von EV, an denen Rohde und ihr Team arbeiten. Starke Narbenbildung verursacht Funktionsverluste im vernarbten Gewebe.

Das kann bei einem Herzinfarkt ebenso passieren wie bei einer schweren Gastritis oder eine Querschnittsverletzung – in all diesen Fällen gibt es eine irreversible Gewebszerstörung. Das liegt unter anderem daran, dass jeder Heilungsprozess mit Narbenbildung stets auch eine Entzündung und somit eine Schwellung beinhaltet, die zusätzlichen Gewebeschaden anrichtet.

"Wenn wir der Schwellung und der überschießenden Entzündung im frühen Stadium der Verletzung entgegenwirken könnten, dann würde man viel Funktionalität für den Patienten retten", sagt Rohde. An Ratten konnten die Forscher zeigen, dass EV den erwünschten Effekt einer Reduktion von Entzündung, Narbenbildung und Schwellung bewirken. Dazu werden die EV direkt in den verletzten Bereich injiziert. Eine weitere Anwendung zielt auf Narbenverhinderung im Zuge von Cochlea-Implantationen bei gehörlosen oder schwerhörigen Menschen ab.

Narbenbildung verhindern

Das Implantat beinhaltet eine etwa zwei Zentimeter lange Elektrode, die operativ in die Gehörschnecke eingesetzt wird. Dabei wird ein winziger Kanal in den Schädelknochen gefräst. Dabei entstehendes Narben- und Fibrosengewebe kann sich um die Elektrode legen und diese isolieren, was ihre Funktion stört.

Hier besteht der therapeutische Ansatz darin, im Zuge der Implantation zwischen 50 und 100 Mikroliter EV ins Ohr zu injizieren. Bisher wurde erst an einem Patienten demonstriert, dass das Verfahren zuverlässig durchgeführt werden kann. Ob es den gewünschten therapeutischen Effekt hat, sollen weitere Studien mit menschlichen Versuchspersonen erweisen.

An der Paracelsus-Privatuniversität steht mit dem GMP-Labor (Good Manufacturing Practice) eine gesundheitsbehördlich zugelassene Infrastruktur zur Herstellung von therapeutischen Wirkstoffen aus Vesikeln unter Reinraumbedingungen zur Verfügung. Derzeit erfolgt die Verabreichung der EV ausschließlich mittels Injektion ins Zielgewebe. Es wären aber auch alternative Verabreichungsformen denkbar.

Würde man EV nicht aus menschlichem Gewebe, sondern zum Beispiel aus Kuhmilch oder Honig gewinnen, ließen sich daraus pharmazeutische Produkte entwickeln, die man über die Nahrung aufnehmen könnte. "Manche Wissenschafter forschen an extrazellulären Vesikeln aus Zitronen", sagt Rohde. "Die könnten zum Beispiel den sauren Magensaft schadlos überstehen. Aber das ist noch sehr weit von der therapeutischen Anwendung entfernt." (Raimund Lang, 30.5.2022)