Recycling, nachhaltigere Produktion und alternative Antriebstechnologien sollen den europäischen Flugverkehr in den kommenden Jahrzehnten aus der Klimasackgasse führen.

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Dass die Luftfahrt in Zeiten des Klimawandels sauberer werden muss, steht außer Frage. Die Europäische Union will den Flugverkehr bis 2050 nachhaltig und klimaneutral aufstellen, Clean Aviation heißt das Programm. Dafür sollen Flieger nicht nur Biokerosin tanken, sondern es sollen auch neue Flugzeuggenerationen den Himmel erobern – nachhaltig? produziert, mit wiederverwendbaren Bauelementen sowie elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben.

40.000 Flugzeuge sollen laut EU-Plan zwischen 2035 und 2050 ausrangiert und durch nachhaltiger gebaute Maschinen ersetzt werden. "Derzeit liegt der Materialnutzungsgrad von Bauteilen oft nur bei zehn bis 20 Prozent", sagt Clemens Simson, Materialforscher am Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen, einem Tochterunternehmen des Austrian Institute of Technology (AIT). So werden bestimmte Strukturelemente des Airbusses aus Sicherheits- und Qualitätsgründen nicht gegossen, sondern aus einem Stück herausgefräst. Dabei fallen bis zu 90 Prozent Abfall an.

Enorme Materialverschwendung

"Werden zehn Tonnen spezieller Alulegierungen verbaut", sagt Simson, "braucht man dafür in der Herstellung 100 Tonnen." Die Herstellung von Primäraluminium ist energieintensiv und verbraucht Strom in rauen Mengen. Im Projekt Sustainair versucht man neue Legierungen zu finden, die ohne Qualitätsverlust direkt in die gewünschte Form gießbar wären. Die neuen Flugzeuge sollen auch nachhaltig und klimaneutral betrieben werden. Ein Ziel, das noch um einiges ambitionierter erscheint. International wird dafür etwa mit Hochdruck an der Elektrifizierung des Flugzeugantriebs geforscht.

"Geht alles nach Plan, sollten 2035 die ersten größeren Elektro-Hybrid-Flugzeuge zur Marktreife gelangen", sagt Helmut Kühnelt, der am AIT in mehrere Aviation-Projekte involviert ist, etwa bei "Solifly", in dem Strukturelemente für Flugzeuge mit integrierten Batterien entwickelt werden. "Ein paar Hürden sind freilich noch zu nehmen." Der slowenische Flugzeugbauer Pipistrel bekam 2020 für seine batteriebetriebene Pipistrel Velis Electro eine Typzulassung von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit.

Altes Frittieröl im Tank

Der Zweisitzer für die Pilotenausbildung erreicht eine Reisegeschwindigkeit von 165 km/h und kommt auf eine maximale Flugzeit von 50 Minuten. Eine Größenordnung weiter ist das amerikanisch-israelische Unternehmen Eviation. Noch heuer soll der Erstflug des Elektroflugzeugs Alice stattfinden, das bis zu neun Passagiere transportieren kann. Alices Energiespeicher bestehen aus zehntausenden konventionellen Handybatteriezellen, was für eine Stunde Flugzeit reicht. Bei Elektroflugzeugen für bis zu 19 Passagieren beginnt es aber schon zu holpern.

"Die Leistungsdichte heutiger Batterien müsste dafür um 70 bis 100 Prozent gesteigert werden", sagt Kühnelt. Die Akkus müssten zudem sehr robust sein, um sie zehnmal am Tag schnell laden zu können. Kühnelt rechnet mit der Marktreife von 20-sitzigen Elektroflugzeugen zwischen 2030 und 2035.

"Einige Akku-Prototypen sind vielversprechend." In Entwicklung für die Kurzstrecke sind auch hybride Elektro-Turboprop-Maschinen. Dabei werden Elektropropeller mit kleiner dimensionierten Turbinen ergänzt, die im Idealfall mit Wasserstoff oder Sustainable Aviation Fuels (SAF) betrieben werden – etwa Bio-Kerosin aus erneuerbaren Quellen wie Mais, Raps oder altem Frittieröl.

Nachhaltiger Treibstoff

SAF, für viele der Gamechanger in Richtung nachhaltiges und klimaneutrales Fliegen, ist derzeit zwar noch kaum verfügbar und bis zu neunmal teurer als Kerosin aus fossilen Quellen. Die EU verpflichtet aber per Richtlinie Flughäfen dazu, bereits ab 2025 mindestens zwei Prozent nachhaltig produzierten Flugtreibstoff bereitszustellen und diesen Anteil bis 2050 auf bis zu 63 Prozent zu erhöhen.

Das sei ambitioniert, so Experten, aber die nachhaltigen Herstellungsverfahren, die der Bio-Diesel-Erzeugung ähneln, seien bereits zertifiziert. Bleibt nur noch zu klären, welche Flächen und welche Energiepflanzen für die – auch mitunter wegen Food-Fuel-Konflikten kritisierten Herstellungsarten –? verwendet werden sollen. Visionär wäre als SAF-Grundlage Wasserstoff, produziert mit Strom aus Offshore-Windparks. Vor allem Dänemark und Deutschland wollen darauf setzen.

Wasserstoff soll nach dem Plan der Europäischen Union auch die Entwicklung neuer Großraumflugzeuge mit alternativer Antriebstechnik ermöglichen. Um Turbinen eines hunderte Tonnen schweren Airbus auf der Langstrecke zu betreiben, mangelt es selbst dem Wasserstoff an Energiedichte. "Der Ausweg wäre, ihn zu verflüssigen", sagt Kühnelt. Dafür müsste dieser aber in Kryotanks bei einer Temperatur von minus 253 Grad mitgeführt werden. "Da sind aber noch viele Fragen ungelöst, etwa Turbinentechnik oder sicheres Betanken." Eine Marktreife für das Wasserstoff-Großraumflugzeug sieht Kühnelt daher erst "jenseits von 2050".

Recycelte Flieger im Auto

Bleibt das Thema Wiederverwertung – bisher ein blinder Fleck in der Luftfahrt. "Es ist oft noch günstiger, ausrangierte Maschinen auf Flugzeugfriedhöfen verrotten zu lassen, als sie fein säuberlich zu zerlegen", sagt Simson. Werden in der EU aber 40.000 alte durch neue Flugzeuge ersetzt, wäre das der Inbegriff von Verschwendung.

Beim Projekt Sustainair setzt man auf Recycling und neue Robotertechnik. Bis zu 30 Materiallegierungen könnten mit Automatisierungstechnik sortenrein aus Flugzeugwracks aussortiert werden, etwa für die Wiederverwendung in der Autoindustrie. Dafür müssten die Wertstoffströme zusammenhängend betrachtet werden.? Simson: "Das wäre der Ansatz einer Kreislaufwirtschaft und jedenfalls besser, als vermeintliches Alt-Alu auf Deponien einzugraben." (Norbert Regitnig-Tillian, 1.5.2022)