Interviewtermine bei Werner Kogler sind von gewissen Ritualen begleitet. Dazu zählt die vom Hausherrn umgehend aufgegebene Kaffeebestellung ebenso wie liebevolles Lästern über das Ambiente, in dem der Vizekanzler und Minister für Kunst, Kultur, Beamte und Sport residiert. Die eigenwillige Innenarchitektur des Amtsgebäudes aus den Achtzigern in der Wiener Radetzkystraße wirkt auf viele zeitgenössische Besucher gelinde gesagt befremdlich – und ist für jeden Fotografen eine Herausforderung. Ob das Team um Kogler auch politisch Grund zur Klage hat, wird sich kommenden Samstag zeigen: Beim grünen Bundeskongress in Villach stellt sich die Parteiführung dem Votum der Basis.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Der Boulevard – namentlich Wolfgang Fellner – verbreitet das Gerücht, Sie stünden kurz vor dem Abschied aus der Politik. Wie lange darf man denn noch mit Ihnen rechnen?

Kogler: Ich sage jetzt nicht, was mir zu dieser Gerüchtelage und der Verbreitungskunst Fellners alles einfällt. Aber wenn so etwas vom Genannten kommt, dann darf man mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das Gegenteil der Fall ist.

STANDARD: Das heißt, Sie bleiben nicht nur Grünen-Chef, sondern treten auch bei der kommenden Wahl wieder als Spitzenkandidat an?

Kogler: Das ist eine völlig andere Frage. Am Wochenende haben wir einmal den grünen Bundeskongress. Da wählen wir den neuen Bundesvorstand, und ich bewerbe mich erneut als Bundessprecher. Wir sind mit Herausforderungen konfrontiert wie selten zuvor in der Zweiten Republik. Darauf konzentriere ich mich die kommenden zweieinhalb Jahre bis zur Wahl: als Parteichef und Vizekanzler. Alles Weitere werden wir sehen.

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STANDARD: Gute Führung bedeutet aber auch, Nachfolgerinnen und Nachfolger aufzubauen. Wäre Umweltministerin Leonore Gewessler eine geeignete Grünen-Chefin nach Ihnen?

Kogler: Wir haben viele gute Leute, auch viele gute Frauen. Da haben wir ein breites Potenzial. Leonore Gewessler ist da ganz vorne dabei, sie trägt viel bei und wird noch viel beitragen. Natürlich wäre Sie auch eine geeignete Grünen-Chefin. Jetzt ist ihre Hauptaufgabe aber in ihrem Superressort – und die Energiewende mit aller Kraft voranzutreiben. Da gibt es bis zur endgültigen Klimaneutralität genug zu tun.

STANDARD: Viel zu tun gibt es auch noch im Bereich Transparenz. Das Informationsfreiheitsgesetz, ein grünes Prestigeprojekt, liegt brach und scheitert an den Ländern, wie Sie sagen. Ist umfassende Transparenz in Österreich schlichtweg nicht umsetzbar?

Kogler: Schrittweise ist mit Sicherheit einiges umsetzbar, aber das ist ein Bohren harter Bretter. Beim Informationsfreiheitsgesetz sind diejenigen, die Bedenken haben, jetzt eingeladen, sich zu äußern. Das sind die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer und Gemeinden. Ich will aber festhalten: Die Bundesregierung hat geliefert und ein weitreichendes Gesetz vorgelegt. Jetzt arbeiten wir daran, dass es umgesetzt wird. Es werden sich jene der Diskussion stellen müssen, die da nicht mitmachen wollen.

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STANDARD: Steht die Bundes-ÖVP Ihrer Ansicht nach voll dahinter? Oder verschanzt sie sich hinter den Ländern?

Kogler: Das wird sich zeigen, aber Verfassungsministerin Karoline Edtstadler ist da sehr glaubwürdig dran.

STANDARD: Apropos Transparenz: Grün geführte Ministerien haben einige Posten und Aufträge an Grüne vergeben. Die PR-Agentur des früheren grünen Bundesparteisekretärs Lothar Lockl bekam vom Umweltministerium Aufträge über mehrere Hunderttausend Euro. Die einstige Kabinettschefin von Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat jetzt einen Job in der staatlichen Gesundheit Österreich GmbH. Was ist der Unterschied zu Freunderlwirtschaft, wie sie Grüne sonst gern anprangern?

Kogler: Die besagte Agentur hat schon lange Aufträge vom Umweltministerium bekommen – auch unter ÖVP-Führung, also vor der Zeit der grünen Regierungsbeteiligung.

STANDARD: Im Vergabeverfahren zum Auftrag für die PR-Begleitung des Klimarats, den die Umweltministerin ins Leben gerufen hat, war die Agentur Lockls nur drittgereiht, wurde aber dennoch ausgewählt. Das hat doch den Hautgout, dass ein Günstling bevorzugt wurde.

Kogler: Die Agentur war unter den drei bestgereihten Agenturen. Es gibt mit allen drei Agenturen Verträge, und das Klimaschutzministerium kann jetzt wählen.

STANDARD: Eine Untersuchung zeigt: Sobald eine Partei regiert, steigen die Karrierechancen der eigenen Klientel sprunghaft an. Warum machen es nicht einmal die Grünen anders?

Kogler: Die grüne Statistik würde ich da gerne sehen. Es gibt sehr wohl ganz viele Besetzungen, wo niemand grün oder nur grün-nahe ist. Worum es geht, ist Kompetenz. Dass da oder dort in einigen Fällen einmal jemand dabei ist, der einen grünen Bezug hat, das kann doch auch kein Ausschließungsgrund sein. Ich mache zum Beispiel in meinem Ressort viele Entsendungen im Sport. Ich wüsste nicht, wo da eine Parteizugehörigkeit die Voraussetzung ist. Aber, ganz grundsätzlich: Im Sinne der Transparenz gäbe es bei den Besetzungen bestimmt noch Luft nach oben. Mein Ministerium prüft gerade, was möglich ist.

STANDARD: Das wichtigste Thema derzeit ist die Teuerung. Wir wissen, dass diese ärmere Menschen besonders trifft. Warum hat die Regierung nicht längst Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder andere Leistungen erhöht, um Einkommen nachhaltig zu stützen?

Kogler: Wir haben Sofortmaßnahmen wie den verdoppelten Teuerungsausgleich ergriffen, und wie nun beschlossen, wird es Verbesserungen bei der Sozialhilfe geben. Aber auch einige der bisherigen Maßnahmen richten sich an diesen Adressatenkreis.

STANDARD: Doch laut Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts reichen die bisherigen Entlastungen für die am stärksten gebeutelten Haushalte nicht aus – etwa weil sie zu wenig auf die Wohnkosten abzielten.

Kogler: Wir nehmen in der Regierung diese Hinweise ernst, deshalb ist die Erhöhung der Wohnbeihilfe eine mögliche Variante – aber auch da sind wir vor allem auf die Mitarbeit der Bundesländer angewiesen. Viele Maßnahmen wurden umgesetzt, etwa der 300-Euro-Teuerungsausgleich, der in ebendieser Wifo-Analyse sehr positiv bewertet wird. Andere sind in Überprüfung.

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STANDARD: Die SPÖ will die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf null setzen. Was halten Sie von dieser Idee?

Kogler: Wenn die Sozialdemokratie den Fokus nicht mehr nur auf der Zapfsäule hat, sondern auch endlich an Brot und Grundnahrungsmittel denkt, freut mich das. Das EU-Recht erlaubt seit kurzem, an der Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel zu drehen. Aber wir müssen überprüfen, ob eine Steuersenkung an die Konsumenten weitergegeben wird – bei der großen Marktmacht heimischer Lebensmittelkonzerne ist das nicht automatisch gesichert. Außerdem ist zu überlegen, wie die Entlastung auf lebenswichtige Produkte beschränkt werden kann. Brot und Getreide ist sinnvoll, da wollen wir uns ansehen, wie das möglich ist – aber für Kaviar und Wachtelei? Ich will mir hinterher ungern vorrechnen lassen, dass Luxusprodukte in absoluten Zahlen viel stärker verbilligt wurden.

STANDARD: Zur Debatte steht auch die Senkung der Mineralölsteuer (MÖSt). Ist das denkbar?

Kogler: Diese Preissenkung würde noch weniger an die Konsumenten weitergegeben werden. Die Mineralölkonzerne hätten davon mehr als die Autofahrerinnen und Autofahrer. Die Erhöhung der Pendlerpauschale und die Vervierfachung des Pendlereuros ist für jene, die weite Arbeitswege haben, die weitaus bessere Maßnahme. Die MÖSt-Senkung ist da die schlechteste aller Ideen. Wir sind ja durchaus eine liberale Partei – aber ich muss nicht noch begünstigen, dass jemand aus Jux mit dem SUV durch Wien cruist.

STANDARD: Die ÖVP kokettiert wieder einmal damit, die kalte Progression abzuschaffen. Uns wundert, dass dies für die Grünen in dieser Situation überhaupt denkbar ist.

Kogler: Wir wollen in erster Linie das untere Drittel der Einkommen stärken, die kalte Progression betrifft hingegen stärker das mittlere und obere Drittel. Insofern ist die Abschaffung keinesfalls die erste Wahl.

STANDARD: Also sind Sie zum jetzigen Zeitpunkt gegen das Aus?

Kogler: Ich bin dagegen, so zu tun, als ob das Ende der kalten Progression unsere aktuellen Probleme löst. Man muss ehrlich sein: Die Folgen des Ukraine-Krieges bedeuten auch für die Bevölkerung in Österreich Einschnitte – niemand kann ehrlich behaupten, der Staat könne all das abfangen. Es geht darum, die Lasten zu verteilen: Jene, die mehr tragen können, werden mehr tragen müssen, damit es für andere nicht untragbar wird.

STANDARD: Zum Abschluss zurück zu Parteitagen. Sebastian Kurz tritt auf jenem der ÖVP am 14. Mai auf – das heizt Comebackgerüchte an. Schließen Sie aus, dass die Grünen jemals wieder einer Regierung mit Kurz angehören?

Kogler: Diese Würfel sind gefallen. Wie sollte sich das ausgehen?

STANDARD: Beim letzten Parteitag 2018 wurden Sie mit 99 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt – ein Ergebnis, das ähnlich nordkoreanisch anmutete wie das letzte von Kurz.

Kogler: Das war ein peinlicher Ausreißer. Nun, in der Regierung, sind die Umstände anders. Das wird auch für das Ergebnis gelten. (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 26.4.2022)