Die feministische Punkband Pussy Riot zählt seit Jahren zu den bekanntesten regimekritischen Stimmen Russlands. 2012 wurde ihnen der Prozess gemacht, 2021 wurden Mitglieder zu "ausländischen Agenten" erklärt.

Foto: Imago

Wo die Waffen sprechen, hat die Diplomatie vorerst Sendepause. Das führt die russische Aggression in der Ukraine schmerzlich vor Augen. Laufend werden derzeit Diplomaten ausgewiesen, und klarerweise liegt auch die Kulturdiplomatie in Russland längst auf Eis. Wer aktuell versucht, das einst so selbstbewusste Österreichische Kulturforum in Moskau zu erreichen, wird auf das Außenamt in Wien verwiesen.

30 derartige Kulturforen betreibt das Außenministerium. Die an die jeweiligen Botschaften angeschlossenen Abteilungen zum gegenseitigen Kulturaustausch sitzen nicht nur in New York, Paris und Madrid, sondern auch in Warschau, Teheran, Peking, Kiew und eben Moskau. Warschau, 1965 eröffnet, war Österreichs erstes Kulturforum hinter dem Eisernen Vorhang. In den 70er- und 80er-Jahren war es für regimekritische Geister eines der wenigen Fenster in den Westen, ein sicheres Forum für Dissidenz und Diskurs. Wird man sich angesichts der aktuellen Zeitenwende daran erinnern müssen? Wohin steuert Österreichs Kulturdiplomatie?

Teresa Indjein, Sektionschefin für Internationale Kulturangelegenheiten im Außenamt, kann im Gespräch mit dem STANDARD noch kein konkretes Reiseziel angeben: "Angesichts des jetzt herrschenden Grauens, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg, ist es viel zu früh, um über die künftige Gestaltung der Zusammenarbeit mit Russland nachzudenken, das gilt auch für die Kulturarbeit."

Klar sei jedenfalls, "dass es nie mehr so sein wird, wie es war", eine Rückkehr zum Status quo ante sei nicht möglich. "Für uns ist aber eine Differenzierung wichtig, denn es gibt gerade auch viele russische Künstlerinnen und Künstler, die aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung verfolgt werden." Es sei wichtig, sie weiterhin zu unterstützen.

Role-Model Simon Mraz

Einer, der das zwölf Jahre lang mit bemerkenswert hohem Einsatz getan hat, ist Simon Mraz. 2021 erst gab der diplomatische Quereinsteiger seinen Posten als Leiter des Kulturforums in Moskau ab und kehrte nach Wien in die Zentrale zurück, er schrieb an einem Buch über die freie russische Kulturszene, die er kennengelernt hat wie kein Zweiter. Nein, auch er habe eine derart große Aggression Putins nicht erwartet, sagt er dem STANDARD.

Und doch habe er, der u. a. mit dem verfolgten Theatermacher Kirill Serebrennikow arbeitete und die Putin-Gegnerinnen Pussy Riot persönlich kennt, mitbekommen, wie die Daumenschrauben immer enger angezogen wurden – schon seit 2009, als dem Kurator Andrej Jerofejew der Prozess gemacht wurde.

Bild nicht mehr verfügbar.

Simon Mraz (links) bei der Eröffnung einer Ausstellung von Michelle Pagel (Dritte von links) gemeinsam mit dem russischen Frauennetzwerk You are not alone in Moskau 2019. Zwei Jahre davor hatte Russland häusliche Gewalt weitgehend entkriminalisiert.
Foto: AP

Der Großteil jener Kunstschaffenden, die Mraz kennengelernt, entdeckt und gefördert hat, würde derzeit das Land verlassen, sagt er. "Sie sind jetzt eingeklemmt zwischen dem, was die Sanktionen auslösen, und dem russischen Regime. Viele gehen nach Armenien, Georgien, Israel, schwieriger ist es für sie, in die EU zu gelangen." Bereuen würde er von seiner Arbeit in Russland nichts, wie er sagt. "Ich habe immer in verantwortungsvoller Weise ausgewählt. Ausschließlich Künstler, die keine staatliche Propaganda gemacht haben und die oft gerade materiell gegenüber den Staatskünstlern schwer im Nachteil waren und jetzt noch viel mehr sind."

Ab der Jahrtausendwende wurde der Stellenwert der Kulturforen zunehmend kleingeredet und die Meinung populär, die weltweit vernetzten heimischen Museen und Festivals würden mit ihren Kooperationen bessere Auslandskulturpolitik machen als das Außenamt selbst – im Fall des Kunsthistorischen Museums und der St. Petersburger Eremitage 2018 allerdings auch mit dem Ergebnis, dass Putin persönlich im Wiener Museum vorbeischaute. Mraz dazu: "Die Institutionen wissen sicher, was sie tun und was nicht. Kulturdiplomatie, wie ich sie verstehe, beackert ein anderes Feld. Ich habe es abgelehnt, in den Direktionen der russischen Staatsmuseen herumzuschleichen. Mein Motto war immer: Ich arbeite mit Künstlern, nicht mit Politikern."

Kritik und Konzept

Der Politologe Michael Wimmer konstatiert aus der Außensicht, dass die heimischen Institutionen in eine Marktsituation gedrängt worden seien, in der "ausschließlich Quantitatives zählte, seien es Sponsorengelder oder Publikumszahlen". Hinzugekommen sei, dass die Auslandskulturpolitik nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durch weitgehende "Konzeptlosigkeit aufgefallen ist".

Mit der Erstellung eines Konzepts ist als "Sonderbeauftragter für Grundsätze der Zukunftsgestaltung" nun unter anderen Christoph Thun-Hohenstein betraut. Von 2011 bis 2021 leitete er das Bundesmuseum Mak, seit Anfang März ist der gelernte Diplomat in den Dienst des Außenamts zurückgekehrt. Für ihn ergänzen sich die heimischen Institutionen mit den Kulturforen gut, wie er meint, das eine mache das andere nicht obsolet.

Falls eine Art neuer Eiserner Vorhang droht, würde die Arbeit der Kulturdiplomatie noch wichtiger werden. Neben der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz und ökosozialen Ansätzen, deren Stempel er dem Konzept eigentlich zuvorderst aufdrücken wollte, werde nun Grundsätzliches wieder stärker in den Vordergrund rücken: der Versuch, liberale und demokratische Werte über Kunst und Kultur in anderen Ländern zu verbreiten. "Das ist die Basis, auf der alles gedeiht." (Stefan Weiss, 27.4.2022)