Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht "die reale Gefahr eines dritten Weltkrieges". Er stellte einen indirekten Zusammenhang mit westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine her: Die Nato führe einen "Stellvertreterkrieg gegen Russland".

Die Russen, vor allem Wladimir Putin, haben vom ersten Moment ihres Überfalls auf die Ukraine an mit nuklearen Schlägen gedroht. Was bedeutet das? Manche, wie der deutsche Kanzler Olaf Scholz, nehmen das anscheinend ernst. Im "Spiegel"-Interview sagte Scholz, er habe Angst vor einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der Nato und der nuklearen Supermacht Russland. Aber diese Gefahr sieht Scholz vor allem bei einer Flugverbotszone über der Ukraine, die es nicht geben wird. Was es geben könnte, ist ein Einsatz russischer taktischer Nuklearwaffen auf dem ukrainischen Schlachtfeld. Das sagen westliche und österreichische Militärs, aber auch russische Kenner von Putins Seele.

Wenn Putin zu verlieren droht, also die russischen Truppen aus dem Land geworfen werden, dann setzt er möglicherweise taktische Atomwaffen ein.
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Der bekannte russische Schriftsteller Wiktor Jerofejew ("Die Moskauer Schönheit", "Der gute Stalin") schreibt über den Fall, dass es der Ukraine gelingt, die russische Armee aus dem Land zu werfen: "Niederlagen erträgt er nicht. Er ist fixiert auf Sieg." Wenn er es nicht vorzieht, einen Pseudosieg zu verkünden ("Befreiung des Donbass, Landverbindung zur Krim"), sondern "beleidigt ist, dann erscheint am Ende des Kriegstunnels eine Atomexplosion". Vielleicht sogar über Kiew oder Lemberg.

Schmaler Grat

Westliche, auch österreichische Militärs stimmen dem grundsätzlich zu. Wenn Putin echt zu verlieren droht, also die russischen Truppen aus dem Land geworfen werden, dann setzt er möglicherweise taktische Atomwaffen ein. Allerdings nicht gegen Städte, sondern gegen ukrainische Truppenkonzentrationen.

Das dürfte ein Hintergrund der deutschen Weigerung sein, wirklich schwere Waffen zu liefern. Inzwischen wurde bekannt, dass Deutschland doch Panzer liefert, jedoch nur Gepard mit Flugabwehrkanonen. Die Tschechen haben schon alte sowjetische T-72-Panzer geliefert und der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte in Kiew, man wolle Russland geschwächt sehen – "bis zu einem Grad, wo es nicht mehr Dinge tun könne wie die Invasion der Ukraine".

Wandern auf einem schmalen Grat: Russland nicht siegen zu lassen, aber es auch nicht zu einer Verzweiflungsaktion zu drängen. Für etliche im Westen geht schon das zu weit: Darf man Putin in die Ecke drängen – der ist doch zu allem fähig? Das wirft wieder die – historisch bereits beantwortete – Gegenfrage auf, ob man einen Aggressor durch Beschwichtigung von weiterer Eskalation abhält. Der deutsche Ralf Fücks, Betreiber eines liberalen Thinktanks, argumentiert in der "Süddeutschen": "Die russische Machtelite ist keine Bande von Selbstmordattentätern. Sie spekuliert darauf, wie weit sie gehen kann, ohne auf entschiedene Gegenwehr zu stoßen." Wenn man sich bei der Ukraine einschüchtern lässt, dann werde man das auch bei einem Angriff auf ein Nato-Mitglied wie Polen oder Litauen tun.

Bleibt die Hoffnung, dass Putin seine bisherigen Geländegewinne jetzt einfach als Sieg erklärt. Aber nach Meinung aller Experten wird er es wieder versuchen. Bis dahin wäre aber Zeit gewonnen. (Hans Rauscher, 26.4.2022)