Die US-Ölindustrie profitiert durch die hohen Preise für fossile Energieträger und die Suche nach nichtrussischen Lieferanten von dem Krieg in der Ukraine.

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An unerwarteten, weltbewegenden Ereignissen hat das junge Jahrzehnt der 2020er-Jahre nicht gespart. Nach der ersten Pandemie seit mehr als einem Jahrhundert wird Europa heuer von einem Krieg erschüttert. Obwohl bei beiden Ereignissen die negativen Auswirkungen überwiegen, profitierten einige davon. Durch die Corona-Pandemie waren dies der Onlinehandel, Streamingdienste, Videokonferenzen oder Erzeuger von Hygieneartikeln.

Auch durch den Ukraine-Krieg gibt es fast nur Verlierer. Die Wirtschaft leidet unter den Sanktionen und wegbrechenden Handelsbeziehungen mit den Kriegsparteien, dazu kommt die hohe Inflation, mit der auch viele Privathaushalte zu kämpfen haben. Sprich, das Wachstum wird sich stark verlangsamen oder gänzlich wegbrechen. Dennoch gibt es auch einige Branchen und Nischen, denen die Situation in die Hände spielt. Welche dies sind, zeigt die Börse – die einem Sprichwort zufolge ja generell ein gutes Abbild für den Zustand einer Gesellschaft ist. Während es an den weltweiten Aktienmärkten seit Kriegsbeginn abwärtsgeht, herrscht bei den Profiteuren des Ukraine-Kriegs Goldgräberstimmung.

Trendverstärker

"Der Krieg in der Ukraine wirkt wie ein Trendverstärker bestehender Entwicklungen", sagt Gerhard Winzer. Damit spielt der Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Erste Asset Management etwa auf den Trend zu höheren Rüstungsausgaben in der Nato an, der bereits unter Ex-US-Präsident Donald Trump aufgekocht sei. Oder die Deglobalisierung, die ebenfalls von Trump mit Strafzöllen befeuert worden ist, oder die Probleme der Lieferketten, die bereits durch die Pandemie offenkundig wurden.

Wohl ist der Ukraine-Krieg für Winzer eine "Zeitenwende", wodurch auch viele Geldflüsse umgeleitet werden, was zu Verlierern und Gewinnern führt. Konkret erwartet er verstärkte Investitionen in drei elementaren Bereichen – nämlich Verteidigung, wozu Winzer aber auch angelehnte Bereiche wie Cybersecurity zählt, Energie- und Nahrungssicherheit.

· Rüstung Offensichtlich zählen Rüstungskonzerne zu den Gewinnern, die von einer Aufrüstung des Kontinents profitieren. Selbst Branchenkenner staunten nicht schlecht, als der deutsche Kanzler Olaf Scholz kurz nach Kriegsausbruch eine 100 Milliarden Euro schwere Geldspritze für die Bundeswehr ankündigte, um Rüstungsvorhaben zu ermöglichen. Zudem sollen künftig mehr als zwei Prozent des BIP in die Verteidigung des Landes fließen. Andere Länder wie Österreich zogen nach oder werden dies noch tun.

Die Diskussionen über die konkrete Verwendung der deutschen Milliarden sind noch nicht abgeschlossen. Neben Munition, Panzern, Kriegsschiffen und Flugzeugen steht sogar ein Raketenschild nach israelischem Vorbild im Raum. Einer der mutmaßlichen Profiteure ist der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall, Hersteller der Leopard-Panzer, dessen Aktie sich seit Ausbruch der Kampfhandlungen mehr als verdoppelte.

Ebenfalls steil bergauf ging es mit Hensold, einem Anbieter von Verteidigungs- und Sicherheitselektronik. Entstanden ist die nahe München ansässige Firma 2017 durch eine Abspaltung von dem Luftfahrtkonzern Airbus. Unter den weltweit Größten spielen deutsche Rüstungskonzerne wie Rheinmetall mit 5,7 Milliarden Euro Jahresumsatz nicht mit. Die plötzlich aussichtsreiche Branche wird von US-Konzernen dominiert, allen voran Lockheed Martin. Der Hersteller von hauptsächlich militärischen Fluggeräten erlöst umgerechnet gut 62 Milliarden Euro, fast 90 Prozent davon mit Waffengeschäften.

· Energie "Es wird auch Investitionen im Energiebereich geben müssen", erwartet Winzer. Nicht nur bei Erneuerbaren, sondern auch im klassischen Ölgeschäft. Obwohl tausende Kilometer vom Krieg entfernt, profitieren US-Frackingunternehmen, die aus Schiefergestein Öl und Gas fördern, als Alternative zu russischer Energie. Auch der Ölfeldausrüster Schoeller-Bleckmann wurde an der Börse zuletzt stark nachgefragt. Zudem erlebt die Atomkraft eine Renaissance, damit auch der Rohstoff Uran. Profitieren werden die Erneuerbaren von einer beschleunigten Energiewende im Zuge des Ukraine-Kriegs.

· Landwirtschaft Zu den Gewinnern im Bereich Landwirtschaft zählen Düngemittelerzeuger, die Aktien der deutschen K+S oder der kanadischen Nutrien sind sprunghaft angestiegen. Die Sanktionen gegen Russland und Belarus, wo die Nummern drei und vier der weltweiten Erzeuger ansässig sind, haben zu einem Nachfrageüberhang geführt – wodurch die ohnedies hohen Marktpreise weiter emporgeschnellt sind. Sollte Indien seinen Bedarf in Russland decken, könnte dies am Weltmarkt zu einer Entspannung führen.

Volkswirt Winzer sieht auch andere Gewinner, wo sich der Profit nicht so einfach in Geld ausdrücken lasse. Das Risiko eines Auseinanderdriftens der Eurozone oder der EU ist seiner Ansicht nach durch den Krieg deutlich gesunken, auch das Verteidigungsbündnis Nato sieht er dadurch grundsätzlich gestärkt. (Alexander Hahn, 27.4.2022)