Wiener Autorin im New Yorker Exil: Grete Hartwig-Manschinger (1899– 1971) im Riverside Park anno 1948, als ihr einziger Roman "Rendezvous in Manhattan" in Österreich erschien.

Foto: DVB Verlag

Mit Grete Hartwig-Manschinger hat der DVB-Verlag eine Wiener Literatin aufgelegt, die keiner kennt, die in ihrer Zeit im Exil aber ein grandioses Buch veröffentlicht hat: Rendezvous in Manhattan. Der Roman erschien in Österreich 1948 und fand damals kaum Beachtung, wohl auch weil die von den Nazis verfolgte Autorin bis zu ihrem Tod 1971 in Amerika wohnhaft und in Wien unbekannt blieb.

Zusätzlich wirkten die üblichen Mechanismen der Verdrängung von Autorinnen: wenig Bereitschaft vonseiten der Verlage, wenige oder nur kleine Rezensionen, folglich kaum Öffentlichkeit, keine Preise und ergo auch keine Aufnahme in Anthologien und den wissenschaftlichen Diskurs. Und doch gehört Grete Hartwig-Manschinger mit Rendezvous zu den wichtigen literarischen Stimmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und zur Liste von (wiederentdeckten) Autorinnen, die die für diese Zeit seltenen weiblichen Perspektiven in den Boden rammten: Irmgard Keun, Marieluise Fleißer, Vicki Baum oder Mela Hartwig (Gretes Schwester).

Schinkensemmel

Grete Hartwig-Manschinger entstammt einer zum Katholizismus konvertierten jüdischen Familie. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Kurt Manschinger, gehörte sie zum informellen antifaschistischen Widerstand in Wien, arbeitete etwa mit Jura Soyfer zusammen und stand auf NS-Fahndungslisten. 1938 floh sie über Großbritannien nach Amerika und wurde in New York sesshaft.

In Rendezvous in Manhattan wirft Hartwig-Manschinger zwar den Blick zurück nach Europa – das ureigene Vokabular wie "Schinkensemmel", "Watschen", "Sekkatur" adressiert ein österreichisches Publikum. Doch ergibt die Geschichte von Edna Scarlatti, Tochter einer proletarischen italienischen Migrantenfamilie, einen waschechten New-York-Roman. Er spielt Anfang der 1940er-Jahre und lässt spätestens mit dem Kriegseintritt der USA infolge des Angriffs auf Pearl Harbour seine europäische Spur erkennen.

Sätze wie "Konzentrationslager sind eine innerdeutsche Angelegenheit" wuchtet die Autorin als streitbare Diskussionsbeiträge in die zeitgeschichtliche amerikanische Debatte; solche Sätze bekommen angesichts des Ukraine-Krieges plötzlich neue Brisanz. Ebenso Roosevelts Sager vom "Arsenal der Demokratie", wonach die USA im Zweiten Weltkrieg die demokratischen Werte gegen die kriegerischen hoch halten wollten. Sich also wie jetzt im Ukraine-Fall aus direkten Kampfhandlungen herauszuhalten beabsichtigten. Hartwigs USA-Perspektive ist also durchaus von europäischem Elan durchdrungen.

Den Kriegseintritt 1941 kriegt die 20-jährige Edna Scarlatti hart zu spüren, doch bleibt der Roman deutlich das Porträt einer Frau, einer Fabriksarbeiterin, die immer wieder an die Grenzen des amerikanischen Traums stößt. Ausgangspunkt ist eine Nagellackfabrik in der Canal Street in New York, wo sich eine Hundertschaft von unterbezahlten Akkordarbeiterinnen unter strengen Regeln jenes Geld verdient, das zwar nicht zum selbstständigen Leben reicht, aber vielleicht zum Schönmachen für eine Ehe.

Überhitzter Asphalt

Und hier gleich fördert die Perspektive der Heldin detailliert Arbeitsalltagswissen und Gendererfahrungen zutage, die sich so schillernd ausbreiten wie zwanzig Jahre später unter den Büromenschen der populären HBO-Serie Mad Men. Tatsächlich wirkt Rendezvous in Manhattan stellenweise so, als hätte Elena Ferrante ein früheres Mad Men geschrieben. Zweifelsohne wäre das Buch, so es Bekanntheit erlangt hätte, verfilmt worden.

Hartwig-Manschinger hat dafür nicht nur den Plot geschaffen (sozialer Aufstieg mit Hürden in schwieriger Zeit), sie lässt den Mikrokosmos einer kämpferischen, aber in den Konventionen gefangenen jungen Frau bildhaft aufleuchten, vom Stechuhrstress auf dem überhitzten Asphalt bis zum Taxieren sozial determinierter Kleidung beim Urlaub am See außerhalb der Großstadt.

Dort lernt Edna den Ingenieur Ray kennen, ein Leben im Kleinbürgertum der Bronx winkt, doch dann kommt der Kriegseintritt und mit ihm viele, auch finanzielle Unsicherheiten.

Hartwig beweist Gespür im Her ausarbeiten biografisch bedingter Zwangslagen. Etwa dass Männer wider Willen in den Krieg ziehen oder dass für Frauen in schlechten Jobs die Ehe das Existenzkonzept bedeutete. Schmäh hat die Autorin aber auch. In der Hochzeitsnacht lässt sie die Welten kulminieren. Nachdem der Bräutigam vor der Ehe möglichst viele Eroberungen machen sollte, die Braut hingegen tunlichst keine, kann das nur eine vertrackte Situation ergeben – und genau so sieht es in Rendezvous in Manhattan dann auch aus. (Margarete Affenzeller, 27.4. 2022)