Landwirtschaft, quo vadis?

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Wien – Lebensmittel sind kostspielig wie nie zuvor. Erst sorgte die Covid-Krise für Verwerfungen an den Rohstoffmärkten, nun heizt der Krieg in der Ukraine die Angst vor Engpässen und Hungersnöten in Entwicklungsländern an. Im März stiegen die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen zufolge auf ein Rekordhoch. Allein Weizen verteuerte sich um knapp 20 Prozent.

Europas Landwirtschaft ist alarmiert. Sie will die Produktion intensivieren, um die Ertragsausfälle der Schwarzmeerregion zu kompensieren. Ihr Ziel ist es, die Preise zu stabilisieren und sich von Getreideimporten unabhängiger zu machen.

Der Weg dorthin führt für die EU-Kommission auf Druck zahlreicher Bauernverbände über brachliegende Äcker, die reaktiviert werden sollen. Österreich besitzt davon rund 9.000 Hektar, die VP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger für die Produktion freigibt. Diese hätten dem Klimaschutz, der Biodiversität und der Bestäubung von Kulturgütern durch Insekten dienen sollen.

Opfert Europa Umweltschutz für mehr Ernährungssicherheit? Nicht nur Umweltschützer, auch viele Agrarökonomen warnen vor einem Irrweg: Statt die Teuerung der Lebensmittel zu bremsen, handle man sich große ökologische Probleme ein.

Unter den Pflug

Mit dem Beackern der Biodiversitätsflächen ersetze Österreich allein 0,1 Prozent der fehlenden Menge am Weltmarkt, rechnet Sebastian Lakner, Agrarexperte der Uni Rostock, vor. Auch die europaweit gut zwei Millionen Hektar an Brachen ließen sich nur bedingt landwirtschaftlich nutzen – ein Gutteil seien steppenartige Landschaften in Spanien.

"Wie wollen wir Ernährungsprobleme auf schlechten Standorten lösen?", fragt sich Lakner. Der Intensivierung der Produktion in der EU seien sehr enge Grenzen gesetzt. Der Ökonom plädiert dafür, weniger Agrarrohstoffe zu Sprit zu verarbeiten. Ihre Beimischung sei ein Auslaufmodell, das für zumindest zwei Jahre ausgesetzt gehöre.

Teller vor Tank forderte im Gespräch mit dem STANDARD jüngst auch der Bonner Agrarexperte Matin Qaim: Bioenergie koste 20 Prozent der Agrarfläche, decke jedoch nur fünf Prozent der Kraftstoffe im Transport ab. Brachliegende Fläche zu reaktivieren sei kein großer Wurf – es überrasche ihn, dass die Politik auf dem Ohr Bioenergie taub sei.

15 Millionen Laib Brot

Europaweit werden täglich rund 10.000 Tonnen Weizen, die sich zu rund 15 Millionen Laib Brot verarbeiten ließen, zu Ethanol für Autos, erhob die Umweltschutzorganisation Transport & Environment im März in einer Studie.

Österreich verfüttert im Dienste der Fleischproduktion gut die Hälfte seines Getreides. Knapp ein Drittel wird energetisch verwendet. Die Nutzung als direktes Nahrungsmittel ist im EU-Vergleich gering.

Wie Qaim hält Lakner geringeren Fleischkonsum für unerlässlich. Die Lebensmittelverschwendung gehöre gebremst, die Entwicklungshilfe ausgebaut. Wie stark ist Spekulation für teurere Lebensmittel verantwortlich? Lakner verwirft diese These. Hohe Preise an Rohstoffbörsen signalisierten Knappheit, was die Produktion antreibe. Der einzige große Spekulant derzeit sei Russlands Präsident Wladimir Putin.

Für Brigitte Reisenberger, Agrarsprecherin von Global 2000, ebnet die Rücknahme "ohnehin zaghafter Schritte hin zu mehr Ökologisierung den Weg zur echten Versorgungskrise".

"Übertriebene Horrorszenarien"

Josef Moosbrugger spricht von "vollkommen übertriebenen, faktenbefreiten Horrorszenarien": Biodiversität werde in Österreich gezielt gefördert, meint der Präsident der österreichischen Landwirtschaftskammer. Ein Viertel der Agrarfläche werde biologisch bewirtschaftet. Angesichts der dramatisch angespannten Märkte dürfe man jedoch keine zusätzliche Verknappung riskieren. (Verena Kainrath, 27.4.2022)