Alois Hudal auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 1930er-Jahren.

Foto: Aus dem Buch "Die Grundlagen Nationalsozialismus" / gemeinfrei

Rom/Washington – Die Geschichte des umstrittenen katholischen Bischofs Alois Hudal (1885–1963) soll weiter aufgearbeitet werden. Das deutschsprachige Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima in Rom schloss am Dienstag mit dem US Holocaust Memorial Museum in Washington ein Kooperationsabkommen ab. Ziel ist die Digitalisierung von 98 Kisten privater und beruflicher Korrespondenz des Bischofs sowie die weitere Erforschung der Dokumente. Für eine kürzlich erschienene, kritische Hudal-Biografie des Historikers Johannes Sachslehner hat dieser das Hudal-Archiv der Anima übrigens nicht konsultiert.

In drei bis vier Monaten sollen rund 100.000 Scans in Washington und Rom zugänglich sein. Der aus der Steiermark stammende Hudal war von 1937 bis 1952 Rektor der Anima. Unter den Dokumenten finden sich nach ersten Erkenntnissen auch Schriftstücke, die ein komplexeres Licht auf den auch als "brauner Bischof" bezeichneten Hudal werfen. So gibt es Dankesschreiben jüdischer Personen, denen er offenbar half, sowie Gästebucheinträge, wonach Juden und Antifaschisten im Priesterkolleg versteckt wurden.

Zu früh für Schlussfolgerungen

Sie sei sehr überrascht gewesen über diese Fundstücke, sagte die US-Historikerin Suzanne Brown-Fleming. Aber es sei zu früh für Schlussfolgerungen. Vielmehr sei eine gründliche Erforschung "Seite für Seite" nötig, so die Leiterin des Internationalen Forschungsprogramms im US Holocaust Memorial Museum, die vorrangig zum Vatikan und dem Holocaust forscht.

"Dieses Archiv ist die Erinnerung unseres Hauses", sagte der Rektor der Anima, der österreichische Priester Michael Max. Dies gelte auch, wenn das Erinnern bei dunklen Seiten manchmal schwer falle. Mit der Kooperation könne das Archiv der Anima nun mit Archiven weltweit vernetzt werden. "Ein Archiv ist ein Gedächtnis, viele Archive werden zu einem Gewissen." Er hoffe, dass durch die historische Aufarbeitung "das Gewissen reiner und die Zukunftshandlungen besser" würden, sagte Max.

Hudal war ab 1923 in Santa Maria dell'Anima tätig und wollte sich in den 1930er-Jahren als "Brückenbauer" zwischen Rom und dem NS-Regime betätigen. Wegen seiner geistigen Nähe zum Nationalsozialismus sowie seiner Tätigkeit als Fluchthelfer für NS-Angehörige und Kriegsverbrecher nach Kriegsende zählt der Bischof zu den umstrittensten katholischen Persönlichkeiten im 20. Jahrhundert. Hudal begründete sein Vorgehen als karitativen Akt für politisch Verfolgte.

Dankesbriefe von Kriegsverbrechern

Unter anderen half er, wie weitere Archivfunde zeigen, dem österreichischen SS-Führer Otto Wächter (1901–1949), was der britische Schriftsteller Philippe Sands kürzlich im famosen Buch "Die Rattenlinie" aufarbeitete. Wächter versteckte sich bis zu seinem Tod mehrere Monate in Rom, war aber wohl nie persönlich im Priesterkolleg. Unter den bereits bekannten Dankesbriefen finden sich unter anderem Schreiben der (Vernichtungs-)Lagerkommandanten Franz Stangl (Sobibor, Treblinka) der auch Dank von seinem Stellvertreter Gustav Wagner übermittelte, und von Josef Schwammberger.

Nachgewiesenermaßen hat Hudal auch die NS-Verbrecher Hans Lauterbacher, Eduard Roschmann, Walter Rauff, Erich Priebke und Berthold Heilig unterstützt, worüber STANDARD-Redakteur Klaus Taschwer, der im Sommer 2021 im Hudal-Archiv recherchierte, kürzlich bei einer Tagung in Wien referierte. (Die Folien zum Vortrag gibt es hier.) Die umfangreichste Korrespondenz nach 1945 führte Hudal übrigens mit dem als Kriegsverbrecher verurteilten SS-Sturmbannführer Walter Reder und dessen Anwalt.

Erzwungener Rücktritt 1952

Hudal wusste, wem er half, so Brown-Fleming. Es sei aber denkbar, dass er in Anbetracht der jahrhundertelangen kritischen Haltung der Kirche gegenüber Juden vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) sich keiner Schuld bewusst gewesen sei.

Wegen seines Engagements für Kriegsverbrecher soll der österreichische Bischof 1952 vom Vatikan gedrängt worden sein, als Rektor des Priesterkollegs zurückzutreten. Hudal war mit Eugenio Pacelli bekannt, dem späteren Papst Pius XII. (1939–1958), der ihn 1933 zum Bischof weihte.

Mitarbeiter des Holocaust Memorial Museum in Washington sind seit März 2020 auch mit Recherchen in den Vatikanarchiven zum Pontifikat Pius XII. beschäftigt. Ohne die kirchlichen Archive bleibe das Verständnis des Holocaust unvollständig, so Brown-Fleming. (APA, KAP, red, 26.4.2022)