Deutschlands Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (li.) und ihr ukrainischer Amtskollege Oleksij Resnikow.

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Groß waren die Hoffnungen ohnehin nicht gewesen, dass Wladimir Putin auf die Waffenstillstandsappelle von António Guterres eingehen würde. Dass aber das Gespräch zwischen dem russischen Präsidenten und dem UN-Generalsekretär bloß eine Stunde dauern würde, war dann doch zusätzlich ernüchternd. Zwar "hoffte" Putin auf Gespräche mit der ukrainischen Seite und sei "im Prinzip" bereit, eine Evakuierung von Zivilpersonen aus Mariupol zu unterstützen – insbesondere aus dem dem riesigen Areal des Asow-Stahlwerks in der Hafenstadt – konkrete Ergebnisse konnte Guterres von seinem Termin im Kreml am Dienstagabend aber nicht mitnehmen.

Kurz zuvor hatte er auch schon beim russischen Außenminister Sergej Lawrow eine Waffenruhe und ein Ende der Kämpfe gefordert und dabei betont, dass der Einmarsch Russlands in der Ukraine die UN-Charta breche. Immerhin habe man sich darauf einigen können, eine Kontaktgruppe mit Vertretern der UN, Russlands und der Ukraine zu gründen, die sich um sichere humanitäre Korridore kümmern solle.

Lawrow betonte einmal mehr, dass sich Russland durch die westliche Welt bedroht fühle und die Entwicklung in den Vereinten Nationen hin zu einer monopolaren Welt fürchte. In einem Interview hatte Lawrow zudem vor einem "dritten Weltkrieg" gewarnt, den die Nato mit ihren Waffenlieferungen an die Ukraine heraufbeschwören würde (siehe Seite 4).

Berliner Kurswechsel

Überraschender als die Gespräche in Moskau war da schon der Kurswechsel Deutschlands in puncto Waffenlieferungen an die Ukraine: Diesen bestätigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am Nachmittag am deutschen US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Berlin werde Kiew nun doch schwere Waffen liefern, es werde grünes Licht für die Lieferung von rund 50 gebrauchten Flugabwehrpanzern vom Typ Gepard geben. "Wir beobachten mit großem Entsetzen, mit welcher Brutalität und mit welchem Vernichtungswillen Russland in diesem Krieg gegen die Ukraine vorgeht", sagte Lambrecht. Putins Russland habe sich "aus dem Kreis der zivilisierten Nationen verabschiedet".

Auf dem Luftwaffenstützpunkt trafen sich auf Einladung der Amerikaner Vertreter von rund 40 Staaten, um über Hilfen für die Ukraine zu beraten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg musste seine Teilnahme absagen. Vor dem Treffen hatte sich US-Verteidigungsminister Lloyd James Austin zuversichtlich gezeigt, dass die Ukraine den russischen Überfall stoppen könne. Und man werde "Himmel und Hölle" in Bewegung setzen, um die Bedürfnisse der Ukraine zu erfüllen.

Kritik in Deutschland

Die deutsche Regierung hatte die Lieferung schwerer Waffen lange verweigert, wofür sie von der Ukraine und auch der Opposition in Deutschland heftig kritisiert worden war. Auch innerhalb der Ampelkoalition waren die Differenzen immer deutlicher geworden. Vor allem aus den Reihen der Grünen wurde immer lauter mehr Unterstützung für die Ukraine gefordert.

Der Gepard, der nun geliefert werden soll, ist ein gepanzertes, mobiles Flugabwehrsystem. Dank seines Radars mit einer Reichweite von 15 Kilometern ist er autonom einsetzbar und laut Hersteller Krauss-Maffei Wegmann allwetterfähig bei Tag und Nacht. Mit der aktuellen Version könnten moderne Kampfflugzeuge, Raketen, ferngelenkte Flugkörper und Drohnen bekämpft werden. Die Bundeswehr stellte den Gepard vor rund zehn Jahren außer Dienst. Innerhalb der Nato wird das Flugabwehrsystem weiterhin von Rumänien genutzt. Deutschland wird die Ukraine auch mit der Ausbildung von Soldaten unterstützen.

Kein Gas nach Polen mehr

Dienstagabend ging der der polnische Gaskonzern PGNiG mit der Information an die Öffentlichkeit, Russland werde mit Wirkung von Mittwoch – also gleichsam sofort – alle Gaslieferungen an Polen einstellen. Man sei durch den russischen Erdgaskonzern Gazprom informiert worden. Dieser wollte den Vorgang, zumindest vorerst, zwar nicht bestätigen; Polen sei allerdings zur Begleichung seiner Rechnungen in russischen Rubel verpflichtet. PGNiG sieht in diesem Schritt der Gazprom einen Bruch bestehender Verträge; man wolle Schadenersatz wegen Vertragsbruchs fordern.

Ein namentlich nicht genannter österreichischer Experte sagte Dienstgabend zur APA, auf der fraglichen Jamal-Pipeline habe es zuletzt immer wieder Unterbrechungen gegeben. Für die österreichische Gasversorgung habe diese Pipeline keine vorrangige Bedeutung.

Laut Bulgargaz teilte die Gazprom Dienstagabend mit, sie werde ab Mittwoch auch Bulgarien nciht mehr beliefern. Das Energieministerium in Sofia gab aber Entwarnung: Die Gasversorgung sei nicht gefährdet, Bulgarien habe sich rechtzeitig um Alternativen gekümmert.

Hohe Werte bei AKW

Zum 36. Jahrestag der Katastrophe in Tschernobyl ist der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, mit einem Team zum havarierten Atomkraftwerk gereist. Zu Medienvertretern sagte er, dass die Strahlenwerte in Tschernobyl nach Kämpfen in dem Gebiet "abnormal" seien. Die wochenlange russische Besetzung der Anlage sei "sehr, sehr gefährlich" gewesen, sagte Grossi. Die ukrainische Atombehörde Energoatom veröffentlichte ein Statement: "In den 36 Jahren seit der Tragödie von Tschernobyl hat Russland der ganzen Welt die Gefahr einer Wiederholung der nuklearen Katastrophe dargelegt." In Saporischschja, dem Standort des größten europäischen Atomkraftwerks, waren am Dienstag russische Raketen eingeschlagen. Die Stadt gilt vor allem als Zufluchtsort für Geflüchtete aus dem belagerten Mariupol.

Dort befinden sich weiterhin hunderte Menschen auf dem Gelände des Asow-Stahlwerks – Kämpfer und Zivilisten. Humanitäre Korridore sind in den vergangenen Tagen wiederholt fehlgeschlagen. Russlands Außenminister Lawrow hat ein Angebot der ukrainischen Seite zu Friedensgesprächen in Mariupol zurückgewiesen. Laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt es in Mariupol überhaupt keinen "Militäreinsatz". Kiew sei für die Eingeschlossenen im Stahlwerk verantwortlich, die Soldaten müssten die Waffen niederlegen.

Explosionen in Moldau

Indirekt hat Moskau zudem am Dienstag gedroht, in der prorussischen Moldauer Separatistenregion Transnistrien zu intervenieren. Laut Nachrichtenagentur RIA sagte das russische Außenministerium, dass es ein Szenario vermeiden wolle, in dem es gezwungen sei, in Transnistrien zu intervenieren.

Ähnliche Töne waren vor dem Einmarsch in die Ukraine im Zusammenhang mit den Separatistengebieten Luhansk und Donezk gekommen. In Transnistrien waren zwei Radiomasten gesprengt worden. Die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, spricht von einer versuchten Eskalation. (Birgit Baumann aus Berlin, Bianca Blei, 26.4.2022)