Das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl heute.

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Blick auf Brennelemente im Wasser mit einem Schild mit der Aufschrift "Radioaktivität" in einem Nasslager für abgebrannte Brennelemente (ISF-1) in Tschernobyl. Archivbild.

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Der havarierte Reaktorblock ist von einer Schutzhülle umgeben.

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Die gute Nachricht zuerst: Die Atomruine von Tschernobyl scheint wieder sicher. Etwas über 100 Nanosievert pro Stunde messen wir in unmittelbarer Nähe der Anlage. Keine stark erhöhte Strahlung mehr in der Nähe des 1986 havarierten Atomreaktors, dessen tödliche Überreste unter einer Schutzhülle aus Beton liegen. Genau 36 Jahre sind seit der Katastrophe vergangen. "Die Folgen der Tragödie waren wirklich schrecklich und betrafen ganz Europa", schrieb Ministerpräsident Denys Schmyhal zum Jahrestag im Nachrichtendienst Telegram.

Am 26. April, genau zum Jahrestag der Katastrophe, besuchte eine Delegation der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA die Reaktorruine. "Dies ist kein symbolischer Besuch", sagte Rafael Grossi, der Generaldirektor. "Natürlich zollen wir den Opfern Respekt. Aber wir sind hier, um zu arbeiten." Seit Montagnachmittag sind die Fachleute der IAEA vor Ort. Sie brachten Messgeräte mit, wollten den Zustand und die Sicherheit der Reaktorruine genau untersuchen.

Riskante Phase

35 Tage lang war das Gelände von russischen Truppen besetzt. Zwischenzeitlich war die Datenverbindung zur Atomenergiebehörde abgerissen. Und die Angst war groß, nicht nur in Tschernobyl. Denn die Betonhülle, der sogenannte Sarkophag, ist für viele Eventualitäten ausgelegt – nur nicht für einen möglichen Beschuss mit Raketen und Granaten. Eine Beschädigung hätte eine Strahlenkatastrophe für ganz Europa bedeuten können.

Nach Tschernobyl darf man nur mit Sondererlaubnis. An den Checkpoints kontrollieren Soldaten der ukrainischen Armee die Papiere, es geht vorbei an zerschossenen Häusern, bombardierten Bahnstrecken. Immer wieder müssen zerstörte Brücken umfahren werden. Panzerspuren im Boden, verkohlte Baumstümpfe zeugen von den schweren Kämpfen.

Waleryj, 75 Jahre alt, hat immer schon in Tschernobyl gelebt. Er ist einer der wenigen Menschen, die in der Stadt geblieben sind. Hauptsächlich sind es Arbeiter, die für die Sicherheit der Atomruine sorgen. 1986, als im brennenden Reaktor die Brennstäbe durchschmolzen, wurden die Bewohner evakuiert. Schwerwiegende Sicherheitsmängel hatten den Reaktor unkontrollierbar gemacht. Waleryj blieb in Tschernobyl, trotz der Gefahr. "Ich bin nicht geflohen, ich habe die Leute mit meinem Bus aus der Stadt in Sicherheit gebracht."

Berichte von Plünderungen

Über viele Jahre war es ruhig um Tschernobyl. Dann kam der Krieg. "Ich sah Flugzeuge, Panzer, sie fuhren umher, aber es gab keine Detonationen nahe meinem Haus. Nur lange Kolonnen von Militärfahrzeugen und Panzern", erzählt Waleryj. Die Russen seien nicht gewalttätig gewesen, bestätigen diejenigen, die hier arbeiten. Sie hätten nur geplündert, technische Geräte, Computer mitgenommen. Die russische Armee dementiert dies.

Oleg arbeitet als Feuerwehrmann in Tschernobyl. Ein wichtiger Job. Immer wieder, vor allem im Sommer, kommt es zu Waldbränden. Durch die Brände werden radioaktive Partikel vom Erdboden aufgewirbelt. Auch die Rinden der Bäume in der Sperrzone rund um die Atomruine sind radioaktiv verseucht. Während der russischen Besatzung war Oleg nicht im Dienst. "Die Kollegen erzählten, es sei schlimm gewesen. Aber sie hörten nicht auf zu arbeiten. Arbeiteten unter Kriegsbedingungen. Sie löschten Brände im Wald, waren eben überall, wo Feuer ausbrach."

Ob die Russen nochmals zurückkommen, das weiß niemand. Waleryj aber will auf jeden Fall bleiben. "Der Krieg ist schrecklich, aber diese Stadt ist meine Heimat. Ich will da nicht weg. Ich bin hier geboren und werde hier sterben. Und wenn ich sterben muss, dann muss ich eben sterben." (Jo Angerer aus Tschernobyl, 27.4.2022)