Impfungen schützen Babys und Kleinkinder vor potenziell lebensgefährlichen Infektionen wie Diphterie oder Polio. Müssen die Kleinen Antibiotika einnehmen, kann das die Schutzwirkung der Impfung deutlich reduzieren.

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Im Kleinkindalter, wenn das Immunsystem noch nicht vollentwickelt ist, gibt es einige Krankheiten, die eine sehr reale Bedrohung für den Nachwuchs darstellen. Impfungen, wie sie auch laut dem Nationalen Impfplan im Zuge des Mutter-Kind-Passes empfohlen sind, schützen die Kleinen davor. Doch nun zeigt eine neue Studie, dass eine Antibiotikagabe vor allem bei Kleinkindern bis zu zwei Jahren die Antikörperproduktion nach der Impfung – und damit auch die Schutzwirkung – signifikant verringern kann. Die Studie unter der Leitung von Timothy J. Chapman vom Zentrum für Infektionskrankheiten und Immunologie am Rochester General Hospital Research Institute in Rochester, New York, ist in den Publikationen der American Acadamy of Pediatrics erschienen.

Für die Studie wurden 560 Kinder im Alter von sechs bis 24 Monaten regelmäßig untersucht und beobachtet. Im Alter von sechs, neun, zwölf, 15, 18 und 24 Monaten wurden ihnen Blutproben entnommen und auf Antikörper für die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Keuchhusten, Influenza und Pneumokokken untersucht. Die Daten wurden mit den Krankenakten der Kinder abgeglichen, die Eltern zu Krankheiten und Antibiotikagaben befragt.

Von den 540 Kindern mussten insgesamt 342 innerhalb der ersten 24 Lebensmonate Antibiotika einnehmen, 218 Kinder erhielten keine. Jene Kinder, die mit Antibiotika behandelt worden waren, hatten im Schnitt niedrigere Antikörperlevel als die in der Vergleichsgruppe. Mussten die Kleinen die Antibiotika zwischen neun und zwölf Monaten einnehmen, lagen die Antikörperlevel besonders häufig unter dem Schutzniveau. Auch wiederholte Antibiotikagaben wirkten sich negativ aus.

Veränderung des Darmmikrobioms

Als einer der Gründe für die schlechtere Immunantwort wird vermutet, dass die Antibiotikaeinnahme das Darmmikrobiom verändert. Dadurch werden Bakterien abgetötet, die das Immunsystem stärken würden. Das sieht auch Ulrich Schaible, Mikrobiologe am Forschungszentrum Borstel und Direktor des Bereichs Infektionen, so: "Antibiotikagaben bei kleinen Kindern können sogar längerfristig die Diversität des Mikrobioms reduzieren. Das führt zu einem Ungleichgewicht im Mikrobiom, in Modellstudien mit Mäusen wurde das bereits gezeigt. Die Folge kann eine höhere Empfänglichkeit für Infektion sein, ebenso wie höhere Entzündungswerte, die das Immunsystem negativ beeinflussen können."

Auffallend sei dabei, dass je länger die Antibiotika gegeben werden, desto stärker der Effekt sei. Fünf Tage seien demnach weniger belastend als zehn Tage. Schaible meint: "Es müssten kürzere Behandlungsschemata entwickelt werden, die schneller wirksam sein können." Weiters empfiehlt er, Probiotika zu testen, ob diese das Mikrobiom schneller wiederherstellen könnten. Auch müsse man überlegen, ob man Impfungen aussetzt während einer Antibiotikagabe und erst nach Therapieende nachholt.

Verstärkt wird der verändernde Effekt auf die Darmflora dadurch, dass diese in ihrer Entwicklung noch nicht abgeschlossen sei, erklärt Claudius Meyer, Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie an der Universitätsmedizin Mainz. "Untersuchungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass erst im Alter zwischen drei und fünf Jahren die Entwicklung der Darmflora abgeschlossen ist. Diese verläuft dabei individuell sehr unterschiedlich, das heißt, auch die Effekte von Antibiotika können sehr unterschiedlich ausfallen."

Probiotikagabe könnte helfen

Die Gabe von Probiotika, also Bakterien, die für die Darmflora förderlich sind, könnte das Problem womöglich bessern, sagt Meyer. "Es gibt viele Hinweise darauf, dass das 'Ökosystem Darmflora' einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und die Konstitution des Immunsystems hat. Ohne eine Auseinandersetzung mit einer sich entwickelnden Darmflora ist ein Kind nach Geburt nicht in der Lage, ein leistungsfähiges Immunsystem zu entwickeln. Die Darmflora ist sozusagen Herausforderung und Förderung in einem. Aber hier sind noch viele Fragen offen."

Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms beziehungsweise seine Veränderung wurde in der Studie nicht untersucht, weshalb die Vermutungen dazu theoretisch bleiben müssen, betont Cornelia Gottschick, die die Arbeitsgruppe Infektionsepidemiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg leitet. Trotzdem zieht sie zwei wesentliche Schlüsse: "Die Ergebnisse der Studie zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass Antibiotika nicht leichtfertig verabreicht werden."

Und Gottschick betont, dass ein verminderter Immunschutz womöglich durch eine weitere Impfung ausgeglichen werden könne – hierfür brauche es aber eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Rechnung. (Pia Kruckenhauser, 27.4.2022)