Die Teuerung hat zuletzt stark angezogen, auch bei Lebensmitteln.

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Es ist ein kleines Erdbeben in der heimischen Steuerdebatte. In Österreich wird regelmäßig und besonders während Wahlkämpfen diskutiert, wie Bürgerinnen und Bürger entlastet werden können. Immer geht es dabei um Lohnsteuern oder die kalte Progression – aber sehr selten um die Umsatzsteuer. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Umsatzsteuer in puncto Aufkommen in den meisten Jahren die wichtigste einzelne Einnahmequelle des Staates ist. 2021 brachte sie dem Finanzminister immerhin stolze 30,6 Milliarden Euro.

Warum es diese Debatten nie gibt? Politiker wollen Leistung meist belohnen, also Arbeit entlasten. Das passt in das marktwirtschaftliche Ethos. Und sie hoffen, dass eine Entlastung bei Arbeit auch die Wirtschaft ankurbelt.

Die aktuell hohe Inflationsrate führt nun aber dazu, dass die Umsatzsteuer doch in den Fokus rückt. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) fordert ihre Senkung bei Grundnahrungsmitteln. Das soll Niedrigverdienern helfen. Luxusprodukte, etwa Kaviar, sollen allerdings nicht billiger werden, so Kogler. Die SPÖ hatte sich zuvor schon dafür ausgesprochen, die Umsatzsteuer bei Lebensmitteln von zehn Prozent auf null zu senken. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) widersprach am Mittwoch solchen Ideen. Das sei eine Förderung mit der Gießkanne, weil der Steuerrabatt ja allen zugutekäme.

Hat der Kanzler recht? Ist die Senkung der Umsatzsteuer eine treffsichere Maßnahme, um Ärmeren zu helfen? So lautet die erste wichtige Frage in der Debatte. Die zweite: Kommt die Senkung an?

Problem eins: Hilfe für die Richtigen?

Für die Beurteilung der Zielgenauigkeit ist es wichtig zu wissen, wer welche Steuern in Österreich zahlt. Eine Erhebung des Forschungsinstituts Wifo dazu von 2019 liefert das jüngste umfassende Bild. Sie zeigt, dass ärmere Haushalte in Österreich nur eine Form der Belastung tragen: indirekte Steuern, allen voran die Umsatz- und Mineralölsteuer. Das ärmste Zehntel der Haushalte muss 17 Prozent seines Einkommens zur Deckung indirekter Steuern aufwenden, Lohnsteuer spielt keine Rolle. Sogar bei mittleren Einkommen haben indirekte Steuern die gleiche Bedeutung wie die Lohnsteuer (siehe Grafik). Bei den wohlhabendsten Haushalten werden nur fünf Prozent der Einnahmen zur Deckung indirekter Steuern aufgewendet.

Wie kommt das? Wer wenig verdient, keine Aktien oder Sparguthaben hat oder nicht arbeitet, zahlt keine Steuern auf Arbeit und auch sonst wenige Abgaben. Dafür beißt die Umsatzsteuer rein.

Daraus folgt, dass eine Senkung der Umsatzsteuer Ärmere relativ zu ihren Einkommen stärker entlasten würde als Besserverdiener. Werden nur Steuern für Lebensmittel gesenkt, ist dieser Effekt wohl noch stärker: Die ärmsten Haushalte geben laut Statistik Austria 165 Euro im Monat für Nahrung aus, das entspricht immerhin 17 Prozent ihrer Ausgaben. Beim reichsten Zehntel sind es 530 Euro, das sind aber nur 7,3 Prozent der Ausgaben.

Richtig ist dennoch auch, dass es erhebliche Mitnahmeeffekte bei einer Senkung der Umsatzsteuer geben würde, wie Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber sagt. Auch Reichere würden profitieren, in absoluten Beträgen sogar mehr, weil sie insgesamt mehr für Konsum aufwenden.

Aber: Diese Mitnahmeeffekte gibt es bei jeder Steuersenkung. Bei der Lohnsteuer ist der Effekt wohl noch größer. Heuer sinkt zum Beispiel die Steuerlast für Einkommen zwischen 18.000 und 31.000 Euro von 35 auf 30 Prozent. Davor wurde schon der Eingangssteuersatz zwischen 11.000 und 18.000 Euro auf 20 Prozent gesenkt. Das wurde politisch als Entlastung für Kleinverdiener verkauft. Aber davon profitieren natürlich auch Topverdiener, weil auch ihr Verdienstteil zwischen den genannten Werten entlastet wird.

Eine Analyse der von der türkis-grünen Regierung beschlossenen Steuerreformen durch das Wifo zeigt, dass der größte Teil der Entlastung des Regierungspakets dem oberen Drittel der Haushalte zugutekommt, das ärmste Drittel bekommt am wenigsten. Mit der Gießkanne hatte also Kanzler Nehammer bisher weniger Probleme.

Fazit: Eine Umsatzsteuersenkung hat Mitnahmeeffekte, aber sicher keine größeren – im Gegenteil – als frühere Entlastungen, die auf Kleinverdiener zielten. Die Maßnahme könnte rasch wirken, zusätzliche Bürokratie bei der Abwicklung fällt nicht an.

Problem zwei: Wird wirklich entlastet?

Kniffliger ist das zweite Problem: Die Regierung kann die Umsatzsteuer auf Brot senken, aber geben das die Supermärkte weiter? Das hängt von der Wettbewerbssituation ab und davon, wie sehr Kunden auf Preisveränderungen reagieren.

Hier gibt es unterschiedliche Studien. So zeigen Analysen, dass die Senkung der Umsatzsteuer für Gastronomie und Hotellerie in Österreich in der Pandemie kaum weitergegeben wurde. Ziel war damals aber auch nicht die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, sondern eine Hilfe für Unternehmen.

Was in der Gastronomie gilt, muss in anderen Branchen aber nicht auch richtig sein. So hat das deutsche Ifo-Institut untersucht, wie die generelle Senkung der Umsatzsteuer in Deutschland gewirkt hat: Demnach ist die Reduktion der Steuer in der Pandemie "im Supermarkteinzelhandel nahezu vollständig weitergegeben worden".

Und für Österreich? "Ich würde vermuten, dass eine Senkung der Umsatzsteuer weitergegeben wird", sagt Wifo-Experte Franz Sinabell, ein Agrarökonom. Bei den Supermärkten dominieren zwar einige wenige Ketten wie Rewe, Spar und Hofer.

Diese stünden aber in einem echten Wettbewerb zueinander. Eine ältere Untersuchung des Wifo zum Milchmarkt habe gezeigt, dass trotz der Konzentration bei den Anbietern keine Nachteile für Verbraucher feststellbar waren, also etwa überhöhte Preise in manchen Regionen oder mangelndes Angebot. Die marktbeherrschende Stellung nutzen die Händler wenn, dann gegenüber dem Produzenten aus.

Auch anekdotische Evidenz deute darauf hin, dass Wettbewerbsdruck gegeben sei. "Eine Werbekampagne mit 'Bei uns bekommen Sie die Umsatzsteuer zurück' wäre gefundenes Fressen für Supermärkte", sagt Sinabell.

Ein möglicher Einwand: Was in Zeiten niedriger Inflation gelten muss, kann bei stark steigenden Preisen anders sein. Die Supermärkte könnten versucht sein, die Preise später, nachdem sie sie gesenkt haben, im Gegenzug etwas stärker steigen zu lassen.

Laut Zahlen des Wifo hat der Staat zuletzt pro Jahr etwa 1,75 Milliarden Euro an Umsatzsteuern bei Lebensmitteln eingenommen. Wird die Steuer auf null gesenkt, würden diese Einnahmen komplett wegfallen. Aber in dieser Rechnung sind alle Lebensmittel, also auch der Kaviar, enthalten.

Die meisten Ökonominnen und Ökonomen in Österreich sehen eine Umsatzsteuersenkung skeptisch: Im Kampf gegen die Teuerung seien Steuersenkungen generell nicht optimal, sagen die Wifo-Ökonominnen Christine Mayrhuber und Margit Schratzenstaller. Gezielte Hilfen würden mehr bringen, etwa eine Erhöhung der Mindestsicherung oder des Arbeitslosengeldes. Eine Umsatzsteuersenkung ist für Schratzenstaller wohl eine Option, aber eben nur zur Umgestaltung der Steuerstruktur, nicht zur akuten Entlastung. (András Szigetvari, 28.4.2022)