Der Tiroler Aufdecker Markus Wilhelm beendet nach 18 Jahren seinen Blog "dietiwag.org".

Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Der Tiroler Aufdecker und Blogger Markus Wilhelm beendet seinen Blog "dietiwag.org". Das teilte er am Mittwoch mit: "Die Festspiele Erl haben durch das selbstherrliche Verhalten von Hans Peter Haselsteiner viel mehr verloren als diesen großen Prozess. Und für mich ist diese Geschichte ein sehr gelungener Abschluss für die Arbeit an der tiwag.org", schrieb er in seinem Blogeintrag. Wilhelm betrieb "tiwag.org" seit dem Jahr 2004 und deckte zahlreiche Missstände auf. Mit seinen Projekten kämpfte er bereits seit Ende der 1970er-Jahre gegen Filz und Korruption in Tirol an.

Vor seinem Blog "dietiwag.org" hat Wilhelm das politische Magazin "Föhn" herausgegeben. Dietiwag.org entstand als Reaktion auf Kraftwerkspläne des Stromriesen Tiwag im Ötztal.

Auf STANDARD-Anfrage wollte sich Wilhelm vorerst nicht näher zum Ende seines Blogs äußern, nur so viel: "Das 'Projekt' tiwag.org (2004–2022) ist jetzt einfach beendet, so wie seinerzeit das 'Projekt' Föhn (1984–1998). Mehr ist dazu nicht zu sagen. Der Kantersieg gegen Haselsteiner ist ein sehr passender Schlusspunkt."

Fan-Gemeinde half bei Klagen

Vor allem in der Tiroler Politik, allen voran der ÖVP, dürfte diese Ankündigung für Erleichterung sorgen. Denn dank seiner guten Quellen – Wilhelms Homepage fungierte zugleich als einer der ersten Briefkästen für Whistleblower – und akribischer Recherchen schaffte es der Schafzüchter immer wieder, die hohe Politik vorzuführen.

Mit seiner publizistischen Arbeit verdiente Wilhelm nie Geld. Wurde er geklagt, half mitunter seine Fan-Gemeinde über Spenden aus. Wobei Prozesse gegen den Ötztaler Aufdecker in den seltensten Fällen erfolgreich waren. Wilhelm formulierte zwar oft polemisch, aber immer auf Basis von Fakten. Die Bezeichnung "Journalist" lehnte er immer ab. Von dem Berufsstand hält er einerseits nicht viel, andererseits sah er sich selbst immer als Zuspitzer, der mit seiner Arbeit politische Wirkung erzielen wollte.

Lange Liste an Scoops

Und das tat er wie kein Zweiter. Die Liste seiner Blog-Scoops ist lang, Highlights waren der 2007 veröffentlichte Tonband-Mitschnitt, in dem Landeshauptmann Herwig van Staa (ÖVP) den deutschen Außenminister Joschka Fischer als "Schwein" bezeichnet haben soll. Van Staa klagte und behauptete, er hätte "Schweigen" gesagt, was keinerlei Sinn ergab, und verlor den Prozess.

Neben dem Stromerzeuger Tiwag, den er über die Jahre im Visier behielt, ließ Wilhelm immer wieder Politiker, meist von der ÖVP, über ihre Fehler stolpern. 2018 etwa Dominik Schrott, einen Intimus von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, der mit einem plump fingierten Gewinnspiel Wahlkampf gemacht hatte.

Haselsteiner verliert auch nach Berufung

Zuletzt gewann Wilhelm – wie berichtet – eine Klage gegen Ex-Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner. Dieser ist auch Präsident der Festspiele Erl. Die Berufung der letzten von insgesamt 18 Klagen wurde laut Medienberichten vom Oberlandesgericht Innsbruck (OLG) abgewiesen. Das OLG befand, dass Wilhelm seine Vorwürfe rund um arbeitsrechtliche Missstände in Erl zu Recht erhoben habe und ein besonderes öffentliches Interesse vorliege.

Wilhelm hatte im Februar 2018 auf seinem Blog "dietiwag.org" geschrieben, dass bei den Festspielen in Erl der Verdacht auf Lohndumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit oder Abgabenhinterziehung bestehe. Nachdem Haselsteiners Klage vom Landesgericht Innsbruck in erster Instanz abgewiesen worden war, wollte der Ex-Strabag-Chef Wilhelm zu einem Vergleich bewegen. Letzterer sollte sich allerdings verpflichten, nie mehr über Haselsteiner oder die Festspiele zu berichten. Für Wilhelm war dies der "Versuch einer Knebelung", das Angebot habe er daher "nicht dankend" abgelehnt, wie er auf seinem Blog zur Entscheidung des OLG schreibt.

Die Causa Erl war von Wilhelm vor vier Jahren mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs gegen den Gründer und künstlerischen Leiter der Festspiele Erl, Gustav Kuhn, ins Rollen gebracht worden. Daraufhin wurden laut dem Blogger 18 Prozesse gegen ihn angestrengt.

Umrühren beim Gatterer-Preis

Der Tiroler Aufdeckerblogger hätte 2019 den Claus-Gatterer-Preis des Österreichischen Journalisten-Clubs (ÖJC) erhalten sollen, woraufhin er Recherchen zum Geschäftsmodell des Journalistenpreises veröffentlichte.

Wilhelm lehnte die Auszeichnung ab, er wolle mit dem ÖJC nichts zu tun haben, und recherchierte frühere Abrechnungen des Clubs gegenüber dem Land Südtirol; der ÖJC wies die Vorwürfe zurück. Nach den Recherchen, der anschließenden Distanzierung einer Vielzahl bisheriger Preisträger sowie der Debatte um den Preis und den Club verabschiedeten sich die burgenländischen Sponsoren. Die Markenrechte am Prof.-Claus-Gatterer-Preis hat sich der ÖJC gesichert. Zahlreiche ehemalige Preisträgerinnen und Preisträger distanzierten sich daraufhin vom ÖJC.

Ob Wilhelm lange im Ruhestand bleibt, wird sich weisen. 2023 stehen Landtagswahlen an.(omark, ars, 28.4.2022)