Vor etwa 205 Millionen Jahren lebten riesige "Fischsaurier" auf dem Gebiet, das sich im heutigen Alpenland befindet.
Bild: Jeannette Rüegg / Heinz Furrer, Universität Zürich

Wo heute die Bündner Alpen ein ansehnliches Schweizer Gebirgspanorama zeichnen, verstecken sich auch maritime Spuren längst vergangener Zeiten. Der Paläontologe Heinz Furrer leitete hier bis 1990 Grabungen, bei denen unter anderem ein Zahn, Wirbel und Rippen von Meeressauriern zutage gefördert wurden. Aktuelle Analysen zeigen, dass sie zu riesigen Tieren gehörten, die dort vor mehr als 200 Millionen Jahren lebten. Besonders beeindruckend: Es könnten die Überreste der größten Ichthyosaurier sein, die je gelebt haben, wie das Team um Tanja Wintrich von der Universität Bonn im Fachblatt "Journal of Vertebrate Paleontology" schreibt.

Die beeindruckend dicke Zahnwurzel des Sauriers.
Foto: Rosi Roth / Universität Zürich

Beim Zahn handelt es sich dementsprechend um den bisher dicksten Ichthyosaurier-Zahn, der bisher gefunden wurde. Seine Zahnwurzel hat einen Durchmesser von sechs Zentimetern. "Das bisher größte noch in einem vollständigen Schädel steckende Exemplar lag bei 20 Millimetern und stammt von einem Ichthyosaurier, der fast 18 Meter lang war", sagt Erstautor Martin Sander von der Uni Bonn.

Jedoch lässt sich allein auf Basis des Zahnes kaum sagen, wie groß der Saurier war, wie das Team – mit Beteiligung des Grabungsleiters Furrer, der auch ehemaliger Kurator des Museums für Paläontologie an der Universität Zürich ist – berichtet. Demnach muss der Zahn nicht von einem besonders riesigen Ichthyosaurier (oder "Fischsaurier", wie sie teilweise genannt werden) stammen, sondern könnte auch einem Exemplar mit besonders riesigen Zähnen gehört haben.

Meer, wo heute Gebirge sind

Unabhängig davon ist es aber erst das zweite Mal, dass ein Zahn einem so großen Ichthyosaurier zugeordnet werden konnte. Während nämlich die meisten kleineren Spezies sehr wohl Zähne besaßen, waren die großen Arten meist zahnlos und ernährten sich, indem sie ihre Beute einsaugten. Diejenigen mit Zähnen dürften wohl kleinere Ichthyosaurier und große Fische verspeist haben, spekulieren die Forschenden.

Ausgegraben wurden der Zahn sowie die Rippen und Wirbel von insgesamt drei Meeressaurier-Exemplaren in den Bündner Alpen – am Chrachenhorn, Tinzenhorn und an der Schesaplana. Die Fundgebiete zählen zur sogenannten Kössen-Formation. Das ist eine stratigrafische Einheit in den Ostalpen, die sich von der Ostschweiz bis in den Osten Österreichs erstreckt. Abgelagert wurden die Sedimente in der späten Triaszeit, als das Tethys-Meer große Teile der Schweiz bedeckte.

Die Alpen verschluckten das Urmeer Tethys.
Terra X plus

Angespülte Kadaver?

Die Gesteine zeigen, dass es sich bei der Kössen-Formation um ein flaches Küstengebiet handelte – eigentlich zu beengend für die gigantischen, bis zu achtzig Tonnen schweren Meerestiere, die an ein Leben in offenem Meer angepasst waren. Die Forschenden vermuten deshalb, dass sich die schnell schwimmenden Jagdsaurier manchmal ins Küstenbecken des nordwestlichen Tethys-Ozeans verirrt hatten oder dass ihre Kadaver dorthin gespült wurden.

Studienautor Martin Sander mit dem Fossil einer Rippe. Das zugehörige Individuum dürfte etwa 20 Meter lang gewesen sein.
Foto: Laurent Garbay / Universität Bonn

Die ausgegrabenen Skelettüberreste förderten gemäß den Forschenden nicht nur einen Zahnrekord zutage, sondern auch den größten Rumpfwirbel eines Ichthyosauriers, der bislang in Europa gefunden wurde. Dieses Exemplar kann es demnach mit dem größten heute bekannten Meeresreptilfossil aufnehmen, dem 21 Meter langen Ichthyosaurier Shonisaurus sikanniensis aus British Columbia in Kanada. Vor einigen Jahren wurde auch ein Unterkieferknochen entdeckt, der dieser Spezies aus der Familie der Shastasaurier-Artigen ähnelt und 26 Meter lang gewesen sein könnte.

Riesig werden und aussterben

Die gefundenen Überreste des dritten Ichthyosaurier-Exemplars lassen auf eine Länge von etwa 15 Metern schließen. Ob auch diese zwei Ichthyosaurier Zähne besaßen, ist derzeit aber unklar. Es könnte sich stattdessen auch um zahnlose Meeresriesen handeln.

Diese künstlerische Interpretation eines Ichthyosauriers lehnt sich optisch an Wale an, die wie die Reptilienverwandten keine Fischkiemen hatten, sondern zum Atmen auftauchen mussten. Bisherige Funde ließen auf viele große, aber zahnlose Ichthyosaurier schließen, die ihre Beute einsaugten, während kleinere Arten eher Zähne besaßen.
Bild: Marcello Perillo / Universität Bonn

Ichthyosaurier tauchten erstmals vor etwa 250 Millionen Jahren auf, als ungefähr 95 Prozent der marinen Arten ausstarben. Sie lebten zur gleichen Zeit wie Dinosaurier, gehören jedoch nicht zu dieser Gruppe. Ihren Nachwuchs brachten sie lebend zur Welt, wie Delfine oder Wale heute. Weil sie von Landtieren abstammten, besaßen sie keine Kiemen wie Fische, sondern mussten immer wieder an der Oberfläche Luft holen. Vor etwa 200 Millionen Jahren starben die meisten Ichthyosaurier aus – relativ kurz nachdem einige von ihnen gigantische Formen entwickelt hatten. (red, APA, 29.4.2022)