Pflegeassistentin Teresa Roscher gehört zu jenen, denen Krankenpfleger und Fotograf Günter Valda mit seinem Buch "Don't let me down" ein Gesicht gibt.

Foto: ORF/Günter Valda

Wien – Der Krieg in der Ukraine hat Corona etwas aus den Schlagzeilen verdrängt, die Probleme des Gesundheitspersonals sind aber geblieben. Zu Beginn der Pandemie wurden sie noch beklatscht und gefeiert, nach über zwei Jahren im Ausnahmezustand stehen einige im Visier der Corona-Verharmloserszene, viele sind ausgebrannt, und die allermeisten fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Warum die Probleme so groß sind und mit welchen psychischen und physischen Belastungen das Personal zu kämpfen hat, das zeigt ORF-Journalistin Nicole Kampl für die "Am Schauplatz"-Reportage "Beklatscht, bedroht, ausgebrannt" – zu sehen am Donnerstag, 28. April, um 21.05 Uhr in ORF 2.

Hassnachrichten und Morddrohung

Eine, die schon seit längerer Zeit bedroht wird, ist Lisa-Maria Kellermayr, praktische Ärztin in Seewalchen am Attersee. Seit sie ein Video von einer Demonstration von Impfgegnerinnen und Corona-Verharmlosern vor dem Krankenhaus in Wels im Internet veröffentlicht hat, bekommt sie Hassnachrichten. Und nicht nur das. Nach einer konkreten Morddrohung via E-Mail mit dem Betreff "Ich werde dich hinrichten" im November 2021 bewacht jetzt ein bewaffneter Sicherheitsmann die Ordination. Rund 70.000 Euro hat sie mittlerweile für den Security und Umbauten wie Notfallknöpfe oder Kameras ausgegeben. Ans Aufgeben denke sie aber nicht, sagt sie in der Sendung: "Diese Drohungen sind wie Zähneputzen und gehören zu meinem Alltag."

"Am Schauplatz"-Redakteurin Nicole Kampl hat Kellermayr mehrmals besucht. "Bei unserem ersten Besuch im Februar wirkte sie noch sehr angespannt, der Wegfall der Impfpflicht hat viel Druck herausgenommen", sagt Kampl zum STANDARD. Und: "Sie spricht sehr offen über die Bedrohung, viele raten ihr davon ab, sagen, sie soll ihre Social-Media-Aktivitäten stilllegen und keine Interviews geben, um sich nicht weiter zu exponieren oder wegen der Gefahr von Nachahmungstätern. Gleichzeitig ist es wichtig, darüber zu sprechen, weil es diese Drohungen ja gibt, und Kellermayr nicht die Einzige ist."

Direkter Draht zur Polizei

Der Verfassungsschutz habe aufgrund der Bedrohungslage in einem Schreiben allen Gesundheitsmitarbeiterinnen- und -mitarbeitern erst Anfang Jänner zu "Schutzmaßnahmen wie Alarmanlagen, Alarmknöpfe, kein 'Arzt im Dienst'-Schild im Auto geraten oder sogar, dass Brieföffner oder Blumentöpfe nicht in Griffweite von Patienten sein sollten", sagt Kampl: "Was ich persönlich nicht wusste, war, wie viele Arztpraxen einen Notknopf zur Polizei verbaut haben – völlig unabhängig von der Pandemie."

Wertschätzung und Personal fehlen

Von der Politik fühlen sich viele allein gelassen. "Angefangen vom Corona-Bonus, der am Ende irgendwann ausbezahlt wurde, bis hin zu der Pflegereform, die seit Jahren auf dem Tisch liegt." Was bräuchte es, um die Situation zu verbessern? "Mehr Wertschätzung und mehr Personal", sagt Kampl: "Natürlich stellt sich die Frage, wo das Personal herkommen soll: Die vielzitierten 75.000 Vollzeitstellen in der Pflege, die bis 2030 fehlen, müssen erst einmal ausgebildet werden. Und dafür braucht es Interessentinnen und Anreize."

Viele würden sich etwa eine "Imagekampagne" wünschen: "Um aufzuklären, dass die Pflege viel komplexer und umfassender ist als das Bild, das viele haben – waschen und Medikamente zusammenrichten." Kampl: "Wie sehr die Wertschätzung fehlt, habe ich auch dadurch bemerkt, dass sich alle sehr ausdrücklich und mehrfach bedankt haben, dass wir uns so ausführlich und lange Zeit für das Thema nehmen und überhaupt etwas dazu machen."

Buch und Ausstellung

Einer, der dem Gesundheitspersonal viel Wertschätzung entgegenbringt, ist Krankenpfleger und Fotograf Günter Valda. Unter dem Titel "Gesichter der Pandemie" hat er in der Corona-Krise entstandene Gesundheitspersonal-Selfies gesammelt und jetzt als Fotoband veröffentlicht – DER STANDARD berichtet darüber. Valda zeigt die Fotos am Freitag in einer Ausstellung in Wien (siehe Hinweis unten).

Auf einem der hunderten Fotos ist auch Teresa Roscher zu sehen. Sie hat die ersten Monate der Pandemie noch in einem Pflegeheim gearbeitet. "Die Bewohnerinnen und Bewohner sehen dich nicht mehr als Mensch, wenn du in Schutzkleidung zu ihnen kommst", erzählt sie in der Sendung. Das mache ihnen Angst. Nachdem die psychischen Belastungen immer größer wurden, wechselte sie in ein Krankenhaus.

Keine Bühne für Demos

Dass es in der Reportage rein um die Situation des Gesundheitspersonals gehe und nicht um die Corona-Verharmloser und Maßnahmengegnerinnen, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, sagt Kampl. "Wir wollten die Aufmerksamkeit auf das Gesundheitspersonal legen, das seit zwei Jahren extrem belastet ist mit der Pandemie und auf das medial oft nicht geschaut wurde, weil es immer um die Auslastung von Spitälern, Bettenkapazitäten und Patientinnen ging oder auch um Maßnahmengegner."

Und: "Mir ging es darum, zu zeigen, wie die Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, mit der Belastung, die die Pandemie noch zusätzlich zur normalen Belastung gebracht hat, umgehen – mit Themen wie ständigem Einspringen, psychischer Belastung, Tod, Arbeiten in Schutzausrüstung, der Angst, sich selbst anzustecken, das Virus mit heimzunehmen und der teils aggressiven Stimmung." (Oliver Mark, 28.4.2022)