Biden-Sprecherin Jen Psaki: Die USA helfen der Ukraine schon seit Monaten.

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Anfangs schien alles klar zu sein: Die russische Armee würde die Ukraine gleichsam überrollen, die militärische Entscheidung wäre eine Frage von wenigen Wochen. Wenn überhaupt. Doch bekanntlich kam es ganz anders. Die ukrainische Armee konnte die russische Angriffsbewegung nicht bloß verlangsamen: Sie hielt sie auf, drängte sie zurück. Essenzielle Operationen wurden vereitelt, die rasche Einnahme der ukrainischen Hauptstadt Kiew blieb letztlich nur einer von mehreren Plänen, die nicht nach dem Wunsch der russischen Generalität umgesetzt wurden.

Natürlich half – und hilft – es den ukrainischen Truppen ungemein, aus dem Westen stetig und im großen Stil mit Waffen und Munition versorgt zu werden. Doch Feuerkraft allein wäre zwecklos: Sie muss auch effizient eingesetzt werden können.

Lieferung von Know-how

Spätestens nach der gescheiterten Luftlandeoperation bei Kiew, in deren Zuge ein russischer Mannschaftstransporter abgeschossen wurde, war klar, dass die Ukraine nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Know-how beliefert wird. Ohne verlässliche Geheimdienstinformationen, die die Ukraine in dieser Zahl, Qualität und Schnelligkeit wohl kaum allein aufbringen kann, wäre Kiew womöglich bereits gefallen; ohne solche Informationen wäre wohl auch der Treffer, der Mitte April zum Untergang des russischen Raketenkreuzers Moskwa führte, nicht möglich gewesen – das bestätigen mehrere Militärexperten dem STANDARD.

Auch andere Nachrichten aus dem Kampfgeschehen seit dem 24. Februar sprechen dafür, dass das ukrainische Militär besser als von Moskau erwartet auf den Ernstfall vorbereitet und trainiert war: Auf der Ebene der Informationsbeschaffung und -auswertung scheint Gleichwertigkeit, wenn nicht sogar Überlegenheit für die Ukraine zu herrschen.

Schon innerhalb der ersten Kriegswoche verlor Russland nach Informationen des britischen Guardian und der investigativen Plattform Bellingcat mindestens zwei Generäle auf dem Schlachtfeld. Damals war die Rede davon, dass das russische Kommunikationssystem namens Era gehackt worden sei und daher Gespräche abgehört werden konnten.

Wer hilft den Verteidigern?

Nun – nach zwei Monaten – verzeichnet die russische Armee in der Ukraine Medienberichten zufolge zehn getötete Generäle – von insgesamt etwa 20, die für diesen Krieg abgestellt wurden. Ein beispielloser Umstand, der auf genaueste Kenntnisse Kiews in puncto Taktik, Planung und Kommunikation der Russen schließen lässt.

Die naheliegende Frage also: Können das die Ukrainer alles selbst geschafft haben? Wohl kaum. Wer hat ihnen also geholfen? Wer hilft ihnen weiter? Nach übereinstimmenden Berichten mehrerer US-Medien wie der New York Times, der Washington Post oder des Senders NBC News sind es die USA selbst.

Das gibt die politische Führung auch zu, zumindest in einem gewissen Umfang: "Wir versorgen die Ukrainer regelmäßig mit detaillierten und zeitnahen Informationen auf dem Schlachtfeld, um sie bei der Verteidigung ihres Landes gegen die russische Aggression zu unterstützen. Und wir werden dies auch weiterhin tun", erklärte kürzlich ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsberaters der USA.

Ähnliches hatte Jen Psaki, Sprecherin des Weißen Hauses, schon Anfang März bestätigt: "Wir haben der ukrainischen Regierung kontinuierlich eine beträchtliche Menge an detaillierten und aktuellen Informationen über die Pläne und Aktivitäten Russlands übermittelt, um den Ukrainern zu helfen, sich zu verteidigen. Das tun wir nun schon seit Monaten."

Große Zurückhaltung übt die demokratische US-Regierung unter Joe Biden allerdings laut New York Times in Bezug auf Informationen über russische Truppen in Russland selbst, aber auch auf der Krim und im Donbass – wohl aus der Überlegung heraus, dass Militäraktionen der Ukraine in Russland nicht als Verteidigungs-, sondern als Angriffsmaßnahmen gedeutet werden würden und eine Eskalation zur Folge haben könnten.

Diese Sorge teilt man in republikanischen Kreisen nicht: Das Pentagon solle vielmehr jede notwendige Information zur Verfügung stellen, damit sich die Ukraine "jeden Quadratzentimeter" des eigenen Territoriums zurückholen könne, argumentiert etwa Senator Marco Rubio.

Ausbildung auf Nato-Niveau

Schon seit Jahren bilden die USA vor Ort die ukrainischen Truppen aus. Michael Repass, vormaliger Kommandant des US Special Operations Command in Europe, schilderte kürzlich in einem Interview mit dem STANDARD, wie akribisch sich die ukrainische Armee mit US-Hilfe für den Ernstfall vorbereitet habe. Das Pentagon bewertet heute die ukrainischen Streitkräfte solchen mancher Nato-Staaten ebenbürtig; sie seien keinesfalls vergleichbar mit jenen von 2014: Damals habe sich Kiew nicht gegen die russische Annektierung der Krim-Halbinsel wehren können. Letztlich, so meint Ex-General Repass, hätten die russischen Militärs aber auch selbst versagt beim Sammeln und Auswerten nachrichtendienstlicher Informationen – daraus ziehe nun die Ukraine einen Vorteil. (Gianluca Wallisch, 29.4.2022)