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Kiew, 2014: Protestierende führen in der Nähe des Majdan-Platzes einen Polizisten ab. Das Foto stammt vom im Text erwähnten Fotografen Maks Lewin (1981–2022).

Foto: Reuters / Maksim Levin

Jeder Fotograf träumt davon, ein Bild zu machen, das den Krieg stoppen kann. Das meinte in einem Interview der ukrainische Fotograf Maks Lewin. Mitte März 2022 wurde er durch zwei Schüsse in der Nähe von Kiew getötet. Als der Krieg acht Jahre davor im Osten des Landes ausbrach, hat Maks Lewin viele beeindruckende Fotos gemacht — keines erfüllte seinen Traum. Der Krieg wurde umgekehrt nur noch größer und schrecklicher, es spielt keine Rolle, mit welchem Talent man das Grauen des Krieges dokumentiert. Umsonst also?

Ich beobachte die Zerstörung der Ukraine aus sicherer Distanz, durch eine Reihe von Bildern, und sie werden jeden weiteren Tag brutaler. Und jeden weiteren Tag, gleich nach dem Aufwachen, überkommt mich der Verdacht (oder ist es eine Hoffnung?), dass alles, was ich bereits gesehen und erfahren habe, nur ein Albtraum gewesen und in Wirklichkeit nie passiert ist. Manches darf einfach nicht wahr sein, schon gar nicht dieser Krieg. Ich würde gerne in einer solchen Welt aufwachen, wo die Straße in Butscha, die mit Leichen übersät ist, nicht existiert.

Im Krieg getötet: der Fotograf Maks Lewin.
Foto: APA / AFP / Genya Savilov

Rote Flecken auf dem Gehsteig

Gerne hätte ich eine dunkel gewordene weibliche Hand mit rot lackierten Nägeln, die aus der Erde herausragt, nie gesehen, sowie die toten Hühner, die aufgehängt sind wie gewaschene Socken zum Trocknen im Hof eines von Russen besetzten Hauses. Auch der Bahnhofsplatz in Kramatorsk, wo durch einen Raketenangriff fünfzig Flüchtende getötet wurden, hätte ich lieber nie gesehen, die roten Flecken auf dem Gehsteig, einsam stehende Koffer, umringt von Kinderspielzeug, als wollten die Besitzer auf Urlaub zum Meer und liefen noch schnell in die Bäckerei, um Kipferl für die Reise zu holen.

Bilder stehen zwischen uns und der Realität. Es kommt also auf uns an, was wir als Realität wahrnehmen, die stellvertretend durch diese Bilder über uns kommt. Vielleicht sollen wir ihnen tatsächlich nicht glauben? Glauben wir ihnen, müssen wir zugeben, dass sich die Welt unwiderruflich verändert hat. Es ist nun eine Welt, in der es geschehen konnte, was die Bilder zeigen. Auch wir, die Betrachtenden, unterstehen dem Zwang der Veränderung.

Ab jetzt sind wir diejenigen, die zu schwach waren, das Geschehene zu verhindern. Inwiefern mich die Bilder des fernen Krieges verändern, weiß ich noch nicht. Ich denke nur daran, dass es schön wäre, nein, es wäre mein Traum als Autorin, einen solchen Satz schreiben zu können, ein solches Buch, das in der Lage wäre, diesen Krieg zu stoppen.
(Tanja Maljartschuk, ALBUM, 30.4.2022)