Paul Goldberger, der langjährige Architekturkritiker der New York Times, ist alles andere als eine wilde Disco-Maus. Doch Arata Isozakis neuer Palladium Club in der East 14th Street bewegte ihn im Jahr 1985 zu einer jubelnden Eloge. Dies, schrieb er gönnerhaft, sei tatsächlich eine Diskothek, die architektonisch ernst zu nehmen sei, anders als das legendäre Studio 54, dessen Impresarios mit dem Palladium als Nachfolger die Clubkultur in die 1980er-Jahre katapultieren wollten.

Isozakis Raum war kein verschwitzter Keller, sondern eine luftige Kathedrale. Riesige Dimensionen, scharfe Kanten, und, damals Gipfel des Hightech, Dutzende Videobildschirme. Als gigantisches Altarbild über den Tanzenden ein Wandgemälde von Keith Haring.

Die Disco Palladium in New York, fotografiert in Aktion Mitte der 1980er-Jahre von Timothy Hursley.
Foto: Timothy Hursley

Es war ein Neuanfang und ein Ende der queeren New Yorker Disco-Kultur, eröffnet in dem Jahr, als Aids vom Gerücht zur tödlichen Gewissheit wurde. Fünf Jahre später war Keith Haring tot, und die Pet Shop Boys besangen in Being Boring, dem wohl empathischsten und bewegendsten unter ihren Songs, "all the people I’ve been kissing, some are here and some are missing".

PetShopBoys Parlophone

Die Euphorie des Moments und die Melancholie der Vergänglichkeit sind ein Kontinuum der queeren Erfahrung, und sie ziehen sich als doppelter Leitfaden durch ein diese Woche erscheinendes Buch, das sich jenen Räumen widmet, in denen diese Erfahrungen stattfinden. Auch und gerade jenen, die nicht durch die Hand eines Stararchitekten veredelt wurden. Queer Spaces: An Atlas of LGBTQIA+ Places and Stories erscheint beim ehrwürdigen Royal Institute of British Architects (Riba), und die Herausgeber Adam Nathaniel Furman und Joshua Mardell öffnen darin mehr als nur eine Tür.

Alltäglich besonders

Es sind alltägliche und besondere Räume darunter, öffentliche und private. Manche sind statisch, manche sind in Bewegung wie der katalanische Nahverkehrszug, in dem Autorin Ailo Ribas auf dem Weg vom Familienbesuch als Sohn zurück nach Barcelona ihre Brüste anlegt und wieder sie selbst wird. Queer Space, schreibt sie, sei jeder Ort, an dem man das richtige Verhältnis zur Veränderung leben könne. Unter den Wohnhäusern sind solche, in denen die Architektur sich von allen Konventionen löst wie in jenem eines japanischen schwulen Paares, das sich von Osamu Ishiyama das Haus als fensterlosen Ein-Raum-Hangar entwerfen ließ, ebenso wie solche, die durch das Bewohnen zu etwas Besonderem wurden, wie das Haus im walisischen Plas Newydd, in dem Eleanor Butler und Sarah Ponsonby zwischen 1779 und 1829 gemeinsam lebten.

Charlotte und Fin Duffy-Scout vor ihrem Buchladen "Category Is Books" in Glasgow. Über der Tür steht "ALL WELCOME".
Foto: Category is Books

Wir sehen Badehäuser in Mexiko-Stadt, den seit 1966 bestehenden New Sazae Club in Tokio, ein Buchklub für Introvertierte in Bangkok, eine Dachterrasse in Dhaka, wo die in Bangladesch traditionell anerkannten genderfluiden Hijra eine selbstkonstituierte Familie bilden, ebenso das Hotel Gondolín, das seit den 1990er-Jahren den "travestis" von Buenos Aires eine Heimat bietet.

Queer Spaces ist ein undogmatisches Kompendium, das auf akademischen Jargon und fußnotensatte Erklär-Essays verzichtet. Durchaus bewusst, sagt Adam Nathanial Furman: "Viele Architekten gehen auf eine Art Safari und nehmen dann das, was sie beobachtet und analysiert haben, in Besitz. Robert Venturi und Denise Scott Brown taten es in den 1960er-Jahren mit Las Vegas, und auch das queere Design wurde oft vereinnahmt. Unser Buch ist das Gegenteil davon. Wir wollen kein Label auf alles kleben."

Finella nannte Mansfield Duvall Forbes das düstere Landhaus in Cambridge, das er ab den 1930er Jahren in einen farbenfroh-hellen Treffpunkt der Kunstszene verwandelte.
Foto: Dell & Wainwright, RIBA Collections

Ebenso wenig sollte das Buch eine kuriose Anekdotensammlung werden, denn das würde die Seriosität den Protagonistinnen und Protagonisten gegenüber vermissen lassen. Das Persönliche ist bekanntlich das Politische, und hier ist es auch Architektur. "Als Architekturstudent fand ich es geradezu erniedrigend, dass es keine Referenzen gab, mit denen ich erklären konnte, was ich wollte", erinnert sich Furman. "Ich wollte das Buch machen, das mir damals geholfen hätte und hoffentlich jungen Menschen heute ein bauhistorisches Startpaket bieten kann." Mitherausgeber Joshua Mardell wiederum brachte die methodische Klarheit des Historikers und einen nordenglischen Working-Class-Hintergrund ins Spiel, der wichtige Erkenntnisse liefert. Denn auch Reihenhäuser und Pubs in Sheffield reihen sich unter die queeren Räume – nordenglische Stahlarbeiter waren keineswegs rein heterosexuell. Blickt man durch diesen Filter, ergibt ihre Buchnachbarschaft zu den überbordenden Traumschlössern des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. durchaus Sinn.

Das Hotel Gondolín in Buenos Aires, seit den 1990er Jahren ein Zuhause für die Familie der "travestis".
Foto: Archivo de la Memoria Trans

Mit ihrem Forschen über Queer Spaces außerhalb der Hochschulen sind Furman und Mardell nicht allein. Auch die österreichischen Architekten Christian Haid und Lukas Staudinger, die in Berlin das Büro für Stadtvermittlung Poligonal betreiben, erforschen das Thema seit längerem. Ihr Online-Archiv Queering Common Spaces versammelt ohne Hierarchie individuelle Geschichten aus Berlin und Tbilisi. "Die Idee war, mit einem Archiv für queere Praktiken im Stadtraum eine Sichtbarkeit herzustellen", sagt Lukas Staudinger. "Wir würden uns nicht anmaßen, diese Geschichten aus zweiter Hand nachzuerzählen."

O-Ton im Stadtraum

Der New Sazae Club in Tokio, seit 60 Jahren nächtliches Zentrum der japanischen Queer Culture.
Foto: Kaoru Yamada

Dies gilt auch für ihr Projekt "Nothing that ever was changes. Disappearing queer spaces in Berlin", für das Haid und Staudinger Interviews mit LGBT-Protagonistinnen der 1970er- und 1980er-Jahre wie Rosemarie Bijan, Besitzerin und Wirtin des Frauenladens Lipstick, führten, und dessen O-Töne via App und QR-Code abrufbar sind und sich mit dem Stadtraum überschneiden.

Queer Spaces: An Atlas of LGBTQIA+ Places and Stories Adam Nathaniel Furman & Joshua Mardell (Hrsg) RIBA Publishing, 2022, 240 S. ISBN: 9781914124211

Dass dem Begriff "queer", der sich nicht auf spezifische sexuelle Orientierungen bezieht, eine Beweglichkeit zu eigen ist, macht ihn in Zeiten umkämpfter Definitionsgrenzen ideal, um Räume zu öffnen. "Es lebt von den Praktiken, davon, dass Menschen in diesen Räumen etwas tun. Insofern kann an sich jeder Raum gequeert werden", sagt Christian Haid, und das hat laut Staudinger auch Konsequenzen für die Architektur: "Es ist wichtiger, Netzwerke zu stärken und zu fördern als ein queeres Haus zu bauen – was auch immer das sein mag. Die Räume finden sich schon, wenn das Netzwerk stark genug ist."

Vielleicht ist es das, was diese Räume so viele Geschichten erzählen lässt. Sie sind Orte des Handelns, des Feierns, des Werdens. Die Idee eines verborgenen Selbst, das sich unter den richtigen Bedingungen entfalten kann, wie es die britische Schriftstellerin Olivia Laing im Vorwort zu Queer Spaces perfekt zusammenfasst – mit einer Songzeile aus Being Boring: "I never dreamt that I would get to be the creature that I always meant to be." (Maik Novotny, 01.05.2022)