Die zweite Amtszeit startet für Emmanuel Macron unter keinen guten Vorzeichen.

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Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Emmanuel Macron nach seiner Wiederwahl von einer Welle der Euphorie getragen wird. Als er sich am Mittwoch erstmals wieder unter das Volk mischte, wurde er auf dem Markt von Cergy-Pontoise nordwestlich von Paris mit Kirschtomaten beworfen. Dank seiner Leibwächter, die sofort ein "projectile" (Wurfgeschoß) orteten, wurde der Staatschef nicht getroffen.

Zur Sicherheit spannten sie einen Regenschirm auf. Der half aber auch nicht gegen einen "Engelssprung": Zwei Meter von Macron entfernt hechtete ein Mann aus einer höheren Position mit ausgebreiteten Armen rückwärts in den Präsidentenpulk.

Andere Episoden sprechen ihrerseits für sich. Im Dorf Essarts-le-Roi zerstach eine Frau, als sie ihren Hund am Wahlabend ausführte, mit einem Küchenmesser zwei Dutzend Autoreifen. Der Polizei sagte sie, sie habe damit gegen Macrons Wahl protestieren wollen.

Noch weniger Unterstützung

Die Demoskopen haben mittlerweile eruiert, dass die Stimmen für Macron nur zum Teil ihm galten. 42 Prozent seiner Wähler stimmten in der Stichwahl nur für ihn, weil sie gegen seine Widersacherin Marine Le Pen sind. Schlussfolgerung: Macron erhält in seiner zweiten Amtszeit wohl noch weniger Unterstützung als in der ersten, die von Gelbwesten- und anderen Krisen überschattet war.

Ein erstes Indiz dafür könnte die Parlamentswahl im Juni geben. Nach der Präsidentschaftswahl angesetzt, wird sie traditionell dazu benutzt, dem Staatschef eine Regierungsmehrheit für die nächsten fünf Jahre mitzugeben. Jetzt arbeiten aber alle Oppositionsparteien daran, dies zu verhindern.

"Dritter Wahlgang gegen Macron"

Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon, der im ersten Wahlgang mit 22 Prozent Stimmen nur knapp hinter Le Pen ausgeschieden war, ruft zu einem "dritten Wahlgang gegen Macron" auf. Und falls er diesen selber gewinnt, beansprucht er den Posten des Premierministers, wie er gleich auf seinem neuen Wahlplakat präzisiert.

Auch wenn Mélenchon den Mund gerne etwas voll nimmt, ist eine solche politische Zwangsehe, "Cohabitation" genannt, angesichts der Unpopularität Macrons nicht auszuschließen. Nicht zuletzt wegen der steigenden Preise und der sinkenden Kaufkraft macht sich die Linke Hoffnung auf einen Wahlsieg. Voraussetzung ist allerdings, dass sie sich nicht wie bei der Präsidentenwahl völlig verzettelt.

Der Plan der "Volksunion"

Mélenchon schlägt deshalb eine "Volksunion" vor – unter seiner Führung. Die Sozialisten und die Grünen, die im ersten Präsidentschaftswahlgang nicht einmal auf fünf Prozent der Stimmen kamen, haben diese Woche Verhandlungen mit Mélenchons "Unbeugsamen" aufgenommen. Die Führung der Sozialisten hat sich den radikalen linken Positionen der "Unbeugsamen" – Pensionsalter 60, staatliche Preissperre – am Freitag überraschend angeschlossen. Zu Mélenchons EU-feindlichen Positionen bleibt sie vage. Grünen-Chef Julien Bayou erklärte ebenfalls, man nähere sich einer Einigung.

Eine formelle Absprache mit Mélenchon würde die proeuropäischen Sozialisten zweifellos spalten. Der frühere sozialistische Präsident François Hollande warnt seine Partei, sie werde noch ganz "verschwinden", wenn sie sich den Mélenchonisten unterwerfe. Auch die Grüne Sandrine Rousseau sieht für diesen Fall eine "Explosion" ihrer Partei voraus.

Acht Niederlagen der Le Pens

Immerhin sprechen die Linksparteien miteinander. Die Rechte schafft nicht einmal das. Ähnlich wie Mélenchon will Marine Le Pen ihr Lager in die Parlamentswahl führen – nur schart sich niemand hinter sie. Ihr interner Rivale Éric Zemmour meinte am Wahlabend bitterböse, die Le Pens hätten nun zum achten Mal eine Präsidentschaftswahl verloren. Das stimmt: Vater Jean-Marie Le Pen trat ab 1974 fünfmal erfolglos zu einer Präsidentenwahl an, seine Tochter Marine dreimal seit 2012.

Wenig erbaut über die Feststellung erklärte Le Pen, eine Wahlallianz mit Zemmour komme nicht infrage. Ihr Rassemblement National werde in allen 577 Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Echte Wahlchancen haben aber nur wenige, wenn die Zemmouristen nicht mitmachen.

Alles deutet darauf hin, dass Macron im Juni mehr von der Linken als von der Rechten zu befürchten hat. Er hat deshalb bereits erklärt, er werde einen "sozialen, ökologischen und produktiven" Premier ernennen, wenn seine Partei La République en marche die Wahl gewinne. Gut einen Monat vor der Parlamentswahl weht der Wind in Frankreich wieder von links, nachdem die "rechte Gefahr", wie die Pariser Medien Le Pen nennen, gebannt scheint. (Stefan Brändle aus Paris, 29.4.2022)