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Elon Musk ist der reichste Mensch auf der Welt.

Foto: Reuters / Brendan McDermid

Die Frage nach der Fairness von Inhaltsmoderation in sozialen Medien spaltet die Gesellschaft. Konservative sehen sich seit Jahren unfair behandelt und behaupten, dass sie häufiger von Sperren betroffen seien als liberale Nutzerinnen und Nutzer. Diese fordern wiederum striktere Maßnahmen gegen Hassrede. Ein Konflikt, der nun weiter eskalieren könnte: Immerhin will Tesla-CEO Elon Musk den Kurznachrichtendienst zum "Marktplatz der Redefreiheit" machen. Ein ambitionierter Plan, der, wenn man sich Musks Ideen und Aussagen genauer ansieht, vor allem eines zeigt: Der 260-fache Milliardär hat eine bizarre Vorstellung davon, was freie Meinungsäußerung bedeutet – und ein naives Bild von Moderation auf Social Media.

Während sich Musk selbst extreme Freiheiten nimmt, fragwürdige Behauptungen in den Raum zu stellen, spricht er diese anderen sichtlich ab. Paradebeispiel dafür ist ein Fall aus dem Jahr 2018. Damals bezeichnete er einen britischen Taucher als pädophil. Dessen einziges Vergehen: Er hatte sich an der Rettung von Kindern beteiligt, die in einer thailändischen Höhle feststeckten. Musks Idee, diese mit einem kleinen U-Boot retten zu wollen, bezeichnete der Taucher als PR-Stunt – Kritik, die dem Unternehmer offensichtlich sauer aufgestoßen ist. Zu einer Entschuldigung zwang Musk sich erst dann, als auch Tesla-Investoren offen ihren Unmut ausdrückten.

Im Juni desselben Jahres kam auch ans Licht, dass der Elektroautobauer einen Mitarbeiter gefeuert hatte, weil dieser auf den Einbau defekter Batterien aufmerksam gemacht hatte. In E-Mails warf ihm Musk damals Verrat vor und bezeichnete ihn als "furchtbares menschliches Wesen". Ein Schicksal, das vergangenen Monat ein weiterer Mitarbeiter des Autobauers erlitt. Nachdem er in einem Youtube-Video öffentlich aufgezeigt hatte, wie fehleranfällig das "Full Self-Driving"-Assistenzsystem des Herstellers ist, wurde er hochkant rausgeschmissen.

Bedenkt man, dass sich der künftige Twitter-Eigentümer selbst gerne als "Verfechter der freien Meinungsäußerung" bezeichnet, mutet dieser Widerspruch doch fragwürdig an.

Naive Visionen

Etwas Klarheit über Musks Vision bringt die Analyse dessen mit sich, was er mit der Plattform vorhat. Zum Beispiel will Musk den permanenten Kontosperren ein Ende setzen. Stattdessen soll es Auszeiten geben, nach denen User zurückkehren dürfen. Außerdem plant er die Offenlegung des Empfehlungsalgorithmus. Menschen sollen laut ihm einsehen können, warum bestimmte Beiträge eine größere Reichweite haben als andere. Um dem wachsenden Problem der Fake-Accounts und Bots entgegenzuwirken, möchte Musk zudem die Echtheit aller User verifizieren. Dem zugrunde soll ein Regelwerk liegen, das sich zwar an geltende Gesetze hält – aber keinen Schritt über das erforderliche Mindestmaß hinausgeht.

Vier konkrete Maßnahmen also, mit denen all die Probleme gelöst werden sollen, mit denen soziale Medien wie Twitter, Facebook und Instagram seit Jahren kämpfen. Klingt zu einfach, um realistisch zu sein? Ist es auch.

Die größten Tech-Konzerne feilen seit Jahren an ihren Algorithmen, um ein System zu etablieren, dass allen Mitgliedern der Gesellschaft eine Teilnahme am öffentlichen Diskurs ermöglicht. Perfekt sind die derzeitigen Lösungen keinesfalls, das steht außer Frage. Auch deshalb, weil sich Plattformen mit Millionen, teils Milliarden Nutzerinnen auf automatisierte Systeme verlassen müssen. Nicht alle Entscheidungen können von Mitarbeitenden getroffen werden. Musks Pläne könnten den Status quo allerdings verschlimmern.

Schaden für die Redefreiheit

Nehmen wir die Idee, alle User zu verifizieren, als Beispiel: Was auf den ersten Blick interessant klingen mag, könnte eine massive Einschränkung der Redefreiheit bedeuten. Pseudonymität ist für Plattformen wie Twitter essenziell, damit Menschen auch dann ihre Gedanken äußern können, wenn sie der Regierung oder der gesellschaftlichen Mehrheit widersprechen. Schon lange weiß man außerdem, dass zum Beispiel eine Klarnamenpflicht keine freundlicheren Diskurs nach sich zieht. Im schlimmsten Fall könnte die von Musk geplante Verifizierung bedeuten, dass alle Userinnen sich mit einem offiziellen Dokument ausweisen müssen.

Mehrere Fachmedien, darunter "Techdirt" und "The Verge", heben zudem die Problematik hervor, Algorithmen vollständig offenzulegen. Der Gedanke dahinter ist zwar, Entscheidungen nachvollziehbarer zu machen und durch größere Transparenz Vertrauen zu schaffen. In Wirklichkeit könne wegen der Einsehbarkeit dieses Grundgerüsts aber nicht gesagt werden, weshalb in konkreten Fällen eine bestimmte Entscheidung fiel. Stattdessen würde es Kritikern erneuten Raum dazu geben, Spekulationen über eine vermeintlich unfaire Gestaltung des Systems aufzustellen.

Gleichzeitig steigt laut den Berichterstattern die Gefahr, dass Betreiber von Bot-Accounts die neu gewonnenen Daten dafür nutzen würden, den Moderationssystemen länger zu entkommen – und eine noch größere Reichweite für ihre Betrugsmaschen zu generieren. Es ist naiv, zu glauben, dass Twitter nicht bereits versucht, dieses Problem zu lösen. In Wirklichkeit wird es also deutlich komplexer sein, als Musks Lösungsansatz glauben lässt.

Ein freier Diskurs

Das gilt für Inhaltsmoderation im Allgemeinen. Die aufgestellten Regeln – meist eine Kombination aus Community-Richtlinien und gesetzlichen Vorgaben – müssen eine Balance finden, damit keine Diskriminierung stattfindet. Das beinhaltet unter anderem auch die Löschung extremistischer Beiträge, von Beleidigungen und Hassrede. Die Behauptung, dass weniger Moderation automatisch mehr Redefreiheit bedeutet, vereinfacht eine Problematik, die Big Tech inzwischen schmerzlich zu spüren bekommt. Facebook, Twitter und vor allem Telegram sind zu Sprachrohren für Verschwörungsmythen und rechtsextremistische Propaganda geworden und kämpfen mit der Durchsetzung besserer Systeme zur Moderation dieser Inhalte – die meist eine Einschränkung der Freiheit anderer Menschen bedeuten.

Dabei greift auch Elon Musks Idee zu kurz, dass Moderation nur anhand von Gesetzen stattfinden soll. Während europäisches Recht vor Hassrede schützt, fällt sie in den USA unter Redefreiheit. Wenn Tech-Konzerne keine zusätzlichen Richtlinien aufstellen würden, um ihre Userinnen und User zu beschützen, wären dadurch sogar Hetzjagden und rassistische Beschimpfungen möglich.

Eine Kostprobe dessen, in welche Richtung sich Twitter unter der Führung des Tesla-CEOs entwickeln könnte – und was für diesen unter Redefreiheit zu fallen scheint –, gab es Ende April. Das US-Magazin "Politico" veröffentlichte einen Artikel, laut dem die Chefjuristin des Unternehmens, Vijaya Gadde, während eines internen Meetings ihre Sorgen über die Zukunft des Unternehmens ausdrückte und dabei in Tränen ausbrach. Eine Headline, die schnell vom konservativen Journalisten Saagar Enjeti aufgegriffen wurde, der Gadde als "Twitters führende Verfechterin der Zensur" bezeichnete.

Musk bestärkte diesen Vorwurf mit einem Kommentar und löste damit eine Welle rassistischer Hasskommentare aus. Wenig später trat er mit der Veröffentlichung einer Fotomontage ihres Gesichts nochmals nach. In dieser warf er der Juristin eine "linke Voreingenommenheit" vor. Die Welle an Hassbotschaften, die über diese dann hineinbrach, scheint Musk nicht sonderlich zu stören. Als Verteidigung schrieb er nur lapidar, dass Twitter "politisch neutral" sein müsse.

Gesetze sind Gesetze

Als international agierendes Unternehmen hat Twitter jedoch keine andere Wahl, als sich an die Gesetze jener Länder zu halten, in denen seine User sitzen. Seinem Vorhaben, Inhaltsmoderation weitgehend zu streichen, könnte dabei insbesondere die Europäische Union einen Strich durch die Rechnung machen.

Erst vor wenigen Wochen haben sich der Rat, die Kommission und das Parlament auf eine gemeinsame Position für den Digital Services Act (DSA) geeinigt, der klare Richtlinien und mehr Transparenz für Social Media schaffen soll. Gegenüber der "Zeit" betonte die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager bereits, dass es ihr egal sei, wem Twitter gehöre, "solange sich derjenige an die Regeln hält". Aufrufe zu Gewalt und Terrorismus seien in Europa verboten. Das schränke zwar die Meinungsfreiheit ein, sei aber im Sinne der Demokratie.

All das wirft Fragen zu Elon Musks Vision auf. Was genau soll mit Twitter passieren und wie realistisch ist es, dass seine Pläne Wirklichkeit werden? Die Vergangenheit des Milliardärs – und insbesondere seine Aussagen der letzten Tage – verheißen nichts Gutes für den öffentlichen Diskurs. (Mickey Manakas, 30.4.2022)