Gemeinsam mit meiner Kollegin Daniela Glätzle-Rützler von der Universität Innsbruck habe ich vor einigen Jahren ein Forschungsprojekt in Kindergärten durchgeführt, um das Wettbewerbsverhalten von Burschen und Mädchen zu untersuchen. Beispielsweise konnten die Kindergartenkinder aus mehreren Körben verschiedene Figuren (etwa alle Sterne oder alle Bälle) heraussuchen. Aus je mehr Körben sie die betreffenden Formen in einer bestimmten Zeit entnehmen konnten, umso mehr Geschenke konnten sie in unserem Experimentladen erhalten.

Die Anzahl der Geschenke hing jedoch davon ab, wofür sich ein Kind entschied: Entweder konnte es ein Geschenk für jeden richtig bearbeiteten Korb bekommen oder aber zwei Geschenke pro Korb, wenn es bei der Aufgabe besser abschnitt als ein anderes Kind im selben Kindergarten.

Obwohl wir feststellen konnten, dass Mädchen im Schnitt geschickter als Burschen bei einer solchen Aufgabe sind, wählten die Burschen viel häufiger die zweite Option, also ihre "Auszahlung" in Abhängigkeit vom Abschneiden im Wettbewerb mit einem anderen Kind. Dieser Unterschied zwischen Burschen und Mädchen war schon im Alter von drei Jahren vorhanden.

Selbst wenn Mädchen eine Aufgabe besser als Burschen beherrschen, scheuen sie vor einer Wettbewerbssituation deutlich häufiger zurück.
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Systematischer Unterschied

Wie wir dann zeigen konnten, bleibt dieser Unterschied in der Wettbewerbsbereitschaft bis ins Erwachsenenalter bestehen. Selbst wenn Mädchen bzw. Frauen eine Aufgabe besser als Burschen bzw. Männer beherrschen, scheuen sie vor einer Wettbewerbssituation deutlich häufiger zurück.

Nun mag man auf den ersten Blick denken, dass das Suchen von Figuren in Körben wenig mit der Karriere im Beruf zu tun hat. Das ist aber leider zu kurz gedacht. Eine Vielzahl an Studien zeigt einen systematischen Unterschied in der Wettbewerbsbereitschaft zwischen Männern und Frauen. Das beginnt bereits im Kindergartenalter.

Das Ausmaß an Wettbewerbsbereitschaft hat aber später Auswirkungen auf Bildungsentscheidungen (kompetitivere Menschen wählen eher Studienrichtungen mit höheren Gehältern), auf die Frage, für welche Stellen sich jemand bewirbt (mit mehr oder weniger Wettbewerbskomponenten) und damit auch auf die Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten im Berufsleben. Denn Topjobs fallen nicht wie Manna vom Himmel, ohne dass man sich dafür anstrengen müsste. Darum spielt Wettbewerbsbereitschaft eine große Rolle im Berufsleben.

Familiäres Umfeld

Studien aus Norwegen haben gezeigt, dass das familiäre Umfeld eine prägende Rolle dabei spielt. Väter aus höher gebildeten und reicheren Familien scheinen auf die Wettbewerbsbereitschaft ihrer Söhne einen besonders starken Einfluss zu haben, vielleicht weil die Söhne sich das Verhalten von besser ausgebildeten und verdienenden Vätern eher zu eigen machen.

Der Einfluss der Mütter ist dagegen deutlich schwächer, und der Zusammenhang mit der Wettbewerbsbereitschaft der Töchter ist auch relativ schwach, sowohl für Mütter wie für Väter. Diese Einsichten legen nahe, dass Rollenvorbilder und generell kulturelle Einflüsse eine Rolle beim Wettbewerbsverhalten spielen. Das beginnt offensichtlich schon im Kindergartenalter und hat Auswirkungen weit in das Berufsleben hinein. (Matthias Sutter, 4.5.2022)