Michael Ludwig beginnt mit einem Satz, der ihm die volle Aufmerksamkeit sichert: "Ich bin der erste und einzige Redner heute hier", sagt der Wiener Bürgermeister. Kurz ist es beinahe still auf dem Wiener Rathausplatz. Dann klärt der SPÖ-Wien-Vorsitzende die tausenden Genossinnen und Genossen auf: Er sei ja an diesem 1. Mai der einzige Mann am Rednerpult. Nach ihm kämen ausschließlich Frauen ans Mikrofon: Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl, dann die Wiener SPÖ-Frauenvorsitzende Marina Hanke und zum Schluss Parteichefin Pamela Rendi-Wagner.

Der erste und einzige Redner am 1. Mai auf dem Rathausplatz: Michael Ludwig, der mit seiner Bezirksdelegation aus Floridsdorf auch als Erster dort eintrudelte.
Foto: Christian Fischer

Nach zwei Jahren pandemiebedingter Verlegung in den virtuellen Raum stand am Sonntag erstmals wieder ein Maiaufmarsch wie vor Corona auf dem Programm. Vertreter aller 23 Bezirke marschierten ab 9.15 Uhr auf dem Rathausplatz ein, wo dann, als alle eingetroffen waren, gegen 10.30 Uhr die Schlusskundgebung begann.

Rote Fahnen, rote Nelken

Rote Fahnen wurden geschwenkt, hunderte Plakate getragen. Viele Parolen darauf forderten ein Ende des Krieges in der Ukraine und Maßnahmen gegen die Teuerung. Zahlreiche Genossinnen und Genossen trugen rote Nelken im Knopfloch und winkten mit roten Tüchern. Stets wurden die Ankommenden von der Bühne mit einem "herzlichen Freundschaft" begrüßt, musikalisch begleitet von Trommelensembles, Blasmusikkapellen und unter anderem auch einer Dudelsackgruppe. Rund 100.000 Menschen nahmen SPÖ-Angaben zufolge an der Veranstaltung teil.

Musikalisch begleitet von Trommelensembles und Musikkapellen ging der Maiaufmarsch heuer wieder "in echt" auf dem Rathausplatz über die Bühne.
Foto: Fischer

Die Sozialdemokratie stehe offensichtlich für eine engagierte, starke Frauenpolitik, sagt Ludwig in seiner Rede. Dann spricht er über die Herausforderungen, die die Pandemie insbesondere für Frauen wegen Homeschooling und Homeoffice bedeute. Und er dankt den Berufsgruppen, die besonders gefordert waren, allen voran das Gesundheitspersonal. Ludwig zieht einen Bogen vom Ausbau der Schulen in Wien zum 365-Euro-Jahresticket der Wiener Linien, dessen Preis – entgegen anderslautenden Gerüchten – gleich bleibe. Er kündigt an, für leistbare Mieten im privaten Sektor rechtliche Schritte gegen den Lagezuschlag zu ergreifen, und appelliert an die Bundesregierung, Maßnahmen zu setzen, die die Folgen der Teuerung lindern.

Corona-bedingt fiel der Maiaufmarsch der SPÖ in den vergangenen beiden Jahren aus. Einzelne zog es trotzdem vors Rathaus.
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"Habe ein Problem mit Putin"

Auch der Ukraine-Krieg ist präsent. "Wir sind nicht neutral, wenn es darum geht, einen Angriffskrieg zu verurteilen", so Ludwig, der sich gegen "Geopolitik mit Waffengewalt" ausspricht: "Ich habe kein Problem mit dem russischen Volk, habe kein Problem mit Puschkin, aber ich habe ein Problem mit Putin."

Die Herausforderungen seien groß, aber Wien habe bewiesen, dass die Sozialdemokratie krisenfest sei, sagt Ludwig. Man müsse nun nur an einem Strang ziehen, und dann werde es eine Bundeskanzlerin Rendi-Wagner geben. Den dann aufflammenden Applaus kommentiert Ludwig in Richtung der Parteivorsitzenden: "Du merkst es, ich glaub, ich muss es nicht extra betonen, wir, die SPÖ Wien, stehen voll hinter dir."

Nach dem Bürgermeister tritt Arbeiterkammerpräsidentin Anderl ans Mikrofon, auf sie folgt eine flammende Rede der Wiener SPÖ-Frauenvorsitzenden Hanke gegen den Krieg, gegen die Gewalt an Frauen und für Vermögenssteuern. Als sie ruft "Hoch der 1. Mai! Hoch die internationale Solidarität!", überschlägt sich ihre Stimme. Auf ihre emotionalen Worte folgt begeisterter Applaus.

Die emotionalste Rede hielt die Wiener SPÖ-Frauenvorsitzende Marina Hanke.
Foto: Christian Fischer

Kein Wetterglück

Rendi-Wagner wirkt nach Hanke deutlich ruhiger. Vor den eigenen Leuten zu sprechen nutzt sie, um scharfe Oppositionstöne anzustimmen, und weniger für staatstragendes Auftreten. Das Wetter ist dabei nicht auf ihrer Seite. Als sie sich nach ihrer Kritik an der ÖVP ("keinen Plan gegen die Krise in diesem Land") nach wenigen Minuten Rede auf die Grünen einschießt, da diese "nur flotte Sprüche" klopfen würden, beginnt es zu regnen.

Gaben sich zuversichtlich und gut gelaunt: Rendi-Wagner und Michael Ludwig.
Foto: Christian Fischer

Ludwig tritt zu ihr mit einem schwarzen Regenschirm, der dann unter Applaus der Versammelten noch in ein rotes Exemplar getauscht wird. Rendi-Wagner kommentiert dies mit den Worten: "Hauptsache nicht grün oder türkis". Dann zählt Rendi-Wagner – bis zum Schluss quasi unter Ludwigs Schutzschirm stehend – ihre Forderungen auf: "Weg mit der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, runter mit der Mehrwertsteuer auf Gas und Sprit, runter mit der Lohnsteuer, rauf mit den Pensionen, rauf mit den Steuern für Millionenvermögen und Onlinekonzerne."

"Haben viel vor"

Es sei an der Zeit, dass etwas getan werde, und es mache einen Unterschied, wer regiere. Das sehe man in Wien. Einmal verspricht sich Rendi-Wagner, als sie eigentlich Rathausplatz sagen will und sagt Ballhausplatz – bald werde dieser in roter Hand sein, lässt sie ihre Zuhörerinnen und Zuhörer dann eben einmal mehr wissen. "Wir haben viel vor." Sie sei nun mehr denn je vom Erfolg überzeugt. "Hoch der 1. Mai! Freundschaft!"

Nach SPÖ-Angaben nahmen rund 100.000 Menschen am Maiaufmarsch teil.
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Die Stimmung zwischen Ludwig und Rendi-Wagner war von Beginn an betont freundlich und fröhlich. Die Abordnungen ihrer Bezirke, 21. und 1., kamen als erste am Rathausplatz an, und die beiden begrüßten einander dort mit Bussi-Bussi. Von Corona-Schutzmaßnahmen war denn auch bei diesem Maiaufmarsch fast nichts zu bemerken. An den Eingängen des Rathausplatzes wurden zwar rote FFP2-Masken verteilt. Getragen wurden Masken aber nur sehr vereinzelt.

Nächste Großveranstaltung

Ende Mai steht bereits die nächste Großveranstaltung der SPÖ Wien an: Wegen der Pandemie wurde der Landesparteitag wiederholt verschoben. Am 28. Mai soll er nun in der Messe Wien stattfinden. Auf dem Programm steht die Wiederwahl Ludwigs als Parteivorsitzender. Mehrere Hundert Delegierte und Teilnehmerinnen werden erwartet, weshalb man – das kündigte Landesparteisekretärin Barbara Novak im Gespräch mit der APA bereits an – nicht ganz auf Sicherheitsmaßnahmen verzichten wird. Vorgesehen ist etwa eine 3G-Pflicht.

ÖVP kritisiert Wiener Gemeindebaumodell

Zuvor hatte sich am Tag der Arbeit bereits die ÖVP zu Wort gemeldet und das von der SPÖ hochgehaltene Gemeindebaumodell kritisiert. Generalsekretärin Laura Sachslehner forderte stattdessen von der Stadt, den Zugang zu Eigentum zu erleichtern. Ludwig konterte beim Aufmarsch der Roten: "Wir privatisieren keine Gemeindebauten, wir privatisieren keine geförderten Wohnungen."

Auch die FPÖ kehrte zu ihrem mittlerweile traditionellen 1.-Mai-Programm zurück. Oberösterreichs Landesobmann Manfred Haimbuchner lud Interessierte wie Bundesparteichef Herbert Kickl in ein Bierzelt am Urfahraner Markt in Linz. Die Neos wiederum luden in Wien zu einer Pressekonferenz mit Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr und Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre. (Gudrun Springer, 1.5.2022)