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Jahrhundertelang war die Medizin in der Hand von Männern. Manche Probleme in ihrer Dimension falsch eingeschätzt.

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Als Marion Noe das Biotech-Start-up Profem gegründet hat, war schon ziemlich viel Arbeit getan. Man hatte bereits viele Hunderttausend Euro investiert – für Patente etwa. Und die ausgebildete Medizinerin und Biochemikerin Noe wusste, dass ihr Heilmittel wirkt. Noe hatte eine Salbe gegen eine bei Frauen weitverbreitete Infektionskrankheit entwickelt: den Scheidenpilz.

Klingt weniger spektakulär, als es ist, wie die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe versichert. Eine Krankheit, die 150 Millionen Menschen plage, die Betroffenen säßen heulend vor ihr: "Stellen Sie sich vor, Sie haben immer eine offene Wunde zwischen den Beinen." Eines der Probleme: Darüber werde nicht geredet – viel zu peinlich. Eine Patientin habe eingeräumt, nicht einmal mit ihrem Mann darüber zu sprechen: "Sie befürchtete, er grause sich vor ihr." Ein weiteres Problem hat aus Noes Sicht der deutsche Satiriker Jan Böhmermann auf den Punkt gebracht: Ein Problem, das nicht Männer betrifft, wird auch nicht gelöst.

Langer Weg

Noe beschäftigt sich seit Jahren mit der Erkrankung. Ihre erste Patientin: die Tochter, die wie viele Babys Windelsoor hatte – eine Infektion mit dem Hefepilz Candida albicans. Ein an sich freundlicher Pilz, der ziemlich unfreundlich und chronisch werden kann. Das Baby bekam auf eine Pobacke die neue Mischung geschmiert, auf die andere ein Standardmedikament. Die Salbe habe gewirkt. Die nächste Patientin war ihre Nichte, mit dem gleichen Problem – und dem nämlichen Effekt. Das Schlüsselerlebnis sei aber eine Freundin gewesen, die zehn Jahre an einer chronischen Vaginalentzündung gelitten habe. Die Behandlung mit gängigen Heilmitteln habe nicht gewirkt, die Salbe habe dafür gesorgt, dass die Frau lange beschwerdefrei gewesen sei.

Die Salbe basiert darauf, dass durch die Kombination bereits zugelassener Wirkstoffe bis dahin unbekannte Synergien sowie ein neuer therapeutidcher Effekt entstehen, indem die Prostaglandinsynthese, die im Zentrum der Chronifizierung steht, mit ihren negativen Folgereaktionen gehemmt wird. Das Zusammenmischen sei gar nicht trivial, sagt Noe. Die Wirkstoffe seien sehr unterschiedlich in ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften: der eine in Fett gelöst, der andere in Wasser. Das Verhältnis muss stimmen.

Glück gehabt

Beim ersten Versuch hatte sie Glück. "Sonst hätte ich das nicht weiterverfolgt." Geholfen habe ihr wohl, dass sie lange im Chemielabor gestanden habe. Der nächste Schritt: recherchieren, ob und wie das patentierbar sei – unterstützt von ihrem Mann Christian Noe, der als Chemiker und Pharmazeut Experte auf dem Gebiet sei.

Als das Start-up 2012 gegründet wurde, hatte man die Zusammensetzung optimiert – und allein für die Patente 800.000 Euro ausgegeben. 2010 konnte man an die erste klinische Studie denken, da pilgerte die Medizinerin zum Austria Wirtschaftsservice – und bog nach erfolgreicher Teilnahme an einem Biotech-Wettbewerb Richtung staatlicher Förderungen ein. Seither gab es zahlreiche Auszeichnungen, Investoren wurden an Bord geholt. Anlass der Firmengründung war ein FemPower-Call der Stadt Wien, wo man den ersten Preis abräumte und ans Gründen gehen musste. "Geld auftreiben ist immer die Hauptsache bei so einem Start-up", sagt Noe. Einfach war es nicht, Investoren zu finden, die meisten hätten das Risiko gescheut: "Man investiert leicht in einen Bitcoin, aber in so etwas, wo man etwas Nützliches gemacht hat, das überlegt man sich zwanzigmal."

Licht am Ende des Tunnels

Zehn Jahre später sieht sie "Licht am Ende des Tunnels". Wenn auch mit deutlicher Verzögerung: Mit der dritten klinischen Studie, die mit 430 Patientinnen in Österreich, der Slowakei und Polen läuft, wollte man vor einem Jahr fertig sein. Corona hat alles massiv verzögert – und Mehrkosten von zwei Millionen verursacht. Eine Million hat man aus der mittlerweile breiten Eigentümersphäre finanziert, eine weitere wurde durch Crowdinvesting aufgestellt. Bis zum Ende der klinischen Studie Ende dieses Jahres wird allein diese sechs Millionen Euro gekostet haben.

Anfang 2024 soll die Salbe mit dem Namen Candiplus auf den Markt kommen. Jetzt wird ein Vertriebspartner gesucht. Firmen, die Interesse an Gynäkologie haben, sagt Noe. Big Pharma gehöre nicht dazu. Viele Große hätten die Gynäkologie abgestoßen – aus einem einfachen Grund, sagt die Medizinerin: "Das ist uninteressant, damit kann man kein Geld verdienen." Zumindest nicht das ganz große Geld.

Denn Geld verdienen will Noe trotz des medizinischen Anspruchs. Bei globaler Vermarktung ortet sie ein Umsatzpotenzial von vielen Hundert Millionen bis in den niedrig einstelligen Milliardenbereich. Zum Vergleich: Die Pfizer-Impfung hat 2021 einen Umsatz von knapp 37 Milliarden Dollar gebracht. Risiko für die Firmen: nahe null. Die EU hat die Entwicklungskosten berappt. (Regina Bruckner, 30.4.2022)

Anmerkung: Dieser Artikel wurde aktualisiert. Die Salbe basiert nicht darauf, dass bereits zugelassene Wirkstoffe, Diclofenac und Prostaglandine bis dahin unbekannte Synergien mit neuem therapeutischem Effekt erzeugen, wie ursprüngliche im Artikel erklärt. Der neue therapeutische Effekt entsteht, indem die Prostaglandinsynthese, die im Zentrum der Chronifizierung steht, mit ihren negativen Folgereaktionen gehemmt wird. Wir bedauern den Irrtum.