Dem Uno-Generalsekretär wird Zögerlichkeit vorgeworfen: Zu spät und in der falschen Reihenfolge sei António Guterres nach Moskau und Kiew gefahren, sagen kritische Stimmen. Allerdings stellte Russland prompt klar, wie es den Besuch des portugiesischen Diplomaten bewertet – und bombardierte noch während Guterres’ Anwesenheit Ziele in Kiew.

Das spielt innerhalb dieses mörderischen Krieges gegen die Ukraine zwar keine große Rolle. Es ist aber eine deutliche Absage des russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Anspruch des Uno-Chefs, als Repräsentant der internationalen Gemeinschaft eine Art Immunität zu genießen. Guterres ist für Putin Partei: Er scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, wenngleich er sich dabei meist der Uno-Terminologie bedient. Einen "flagranten und illegalen Akt der Aggression gegen einen Uno-Mitgliedsstaat" und eine "Verletzung der Uno-Charta" hat er den russischen Überfall schon Ende Februar genannt und dies in Moskau wiederholt.

Guterres hätte früher agieren müssen

Schwer verständlich ist jedoch, warum sich Guterres nicht bereits spätestens im Februar, angesichts des massiven Aufmarschs der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine und der US-Geheimdienstinformationen, in Bewegung setzte: Damals wollte er eine (US-amerikanische) Stellvertreterin nach Moskau schicken, die aber dort als Gesprächspartnerin zum Thema Ukraine nicht willkommen war. Auch die Olympischen Spiele in Peking, bei deren Eröffnung sowohl Putin als auch Guterres anwesend waren, wurden nicht zu einem diplomatischen Vorstoß genützt.

In China hätte er in dieser Sache einen Verbündeten gehabt: Peking soll über Putins Krieg, der auch die chinesischen Vorstellungen einer stillen wirtschaftlichen Expansion in den Westen empfindlich stören könnte, viel verärgerter sein, als dies öffentlich wird.

Guterres hat im Februar zwar "nur" den gleichen Fehler gemacht wie die halbe Welt – nicht für möglich gehalten, dass Putin so dreist lügt –, aber er ist der Uno-Generalsekretär. Er darf auch persönlich keinen Weg scheuen, um Frieden zu erhalten oder zu schaffen, auch wenn die Chancen gering sind. Was bei anderen unter Umständen wie Aktionismus aussehen kann, ist sein Job.

Guterres darf als UNO-Generalsekretär keinen Weg scheuen um Frieden zu erhalten.
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Guterres ist ein eher moderierender, zurückhaltender Uno-Chef, so wie auch schon Ban Ki-moon vor ihm. Die multilaterale Diplomatie erlebt jedoch prinzipiell schwierige Zeiten, nicht erst seit Akteure wie Putin die Weltordnung neu aufsetzen wollen – nicht etwa gerechter, sondern nur zu ihren Gunsten. US-Präsident Donald Trump und seine Truppe ließen keine Gelegenheit aus, um der 1945 im beginnenden Kalten Krieg gegründeten Institution Uno ihre Verachtung zu zeigen. Auch schon Vorvorgänger Georg W. Bush hatte 2003 ohne Mandat einen Krieg begonnen.

Guterres hat dem Sicherheitsrat im Fall Ukraine "Versagen" vorgeworfen: Dabei war dieser nie imstande, seine eigenen Konflikte zu lösen, sondern nur die Folgen nach außen abzumildern. Zwar gibt es nun Stimmen, die der Russischen Föderation die rechtliche Nachfolge der Sowjetunion und damit den Sitz im Uno-Sicherheitsrat absprechen wollen. Aber tatsächlich ähnelt die politische Konstellation im Gremium der fünf offiziellen Atommächte derzeit eher der im Kalten Krieg als jener der vergangenen dreißig Jahre. Auch wenn die Welt heute ganz anders aussieht. (Gudrun Harrer, 30.4.2022)