Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sieht sich selber nicht als rücktrittsreif. Seine Partei steckt derzeit in ihrer größten Krise seit Jahrzehnten.

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Es war eine äußerst turbulente Woche für die Vorarlberger Volkspartei – schon wieder. Eine Sondersitzung im Landtag mit hitzigen Debatten, die sich zwei Tage später auch im Nationalrat in Wien fortsetzten, wiederaufgetauchte schwere Vorwürfe an den Landesgeschäftsführer und letztlich erste Anzeigen der Finanz, die bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch eingingen. Am Freitag hieß es dann, dass auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Boot ist. Es habe eine Teilabtretung gegeben, konkret gehe es um eine Anzeige gegen drei Personen, heißt es in den "Vorarlberger Nachrichten".

Noch ist Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) im Amt. Aber die Betriebsprüfung, die seit Februar im Wirtschaftsbund stattfindet, beschert ihm und seiner Partei die größte Krise seit Jahrzehnten.

Verstrickung mit ungesunden Zügen

Dabei waren die Praktiken, die nun für breite Kritik und Berichterstattung sorgen, in Vorarlberg schon lange bekannt. Neos-Mandatar Gerald Loacker brachte es am Mittwoch im Nationalrat auf den Punkt: "Das geht seit Jahrzehnten so, und es weiß das jeder in Vorarlberg." Bleibt die Frage, warum das alles so lange möglich war.

Großteils liegt die Antwort in einer Verstrickung zwischen Politik, Medien und der Wirtschaft, die in Vorarlberg ungesunde Züge angenommen hat. Beispiele dafür lieferte die Affäre in den letzten Tagen und Wochen zur Genüge, aber von Tag zu Tag gibt es neue Beispiele.

Etwa der Fall eines Wirtschaftskammer-Mitarbeiters. Zwischen 2016 und 2019 flossen insgesamt 102.000 Euro vom Wirtschaftsbund an ihn und seine Frau, Rechnungen gibt es keine, Steuern wurden offenbar auch nicht abgeführt. Der Mann soll nun eine Selbstanzeige abgegeben haben.

Inserate hier, Inserate dort

Das Ehepaar soll federführend an Redaktion und Gestaltung des Magazins beteiligt gewesen sein, das dem Wirtschaftsbund Millionen einbrachte und in das auch beträchtliche Summen öffentlicher Gelder flossen. Unternehmer sollen zum Inserieren gedrängt worden sein. Der Name des Kammer-Manns schien im Impressum nie auf. Jürgen Kessler – jener Mann, unter dem es als Geschäftsführer des Wirtschaftsbunds ab 2018 besonders hohe Inseratenerlöse gab – wurde immer als einziger für Redaktion und Anzeigen Verantwortlicher genannt.

Der Kammer-Mitarbeiter arbeitete mit Kessler auch über jene Firma zusammen, an der der ehemalige Wirtschaftsbund-Direktor bis Jänner knapp 50 Prozent hielt. Das Unternehmen war für die Abwicklung des Anzeigengeschäfts von zahlreichen Magazinen zuständig, auch für jenes der Kammer, das wiederum der besagte Mitarbeiter verantwortete. Ebenfalls an dieser Firma beteiligt war und ist Russmedia. Der Konzern dominiert im Ländle den Medienmarkt und druckte und verteilte auch das Wirtschaftsbund-Magazin. Der Kammer-Mitarbeiter war einst auch bei den "Vorarlberger Nachrichten", dem Flaggschiff von Russmedia, tätig.

Rolle der lokalen Medien

Russmedia spielt bei der Beantwortung der Frage, warum das System Wirtschaftsbund so viele Jahre lief, ohnehin eine Rolle. Zwar wurde in den Medien des Konzerns immer wieder berichtet, etwa über Anfragen von Oppositionsparteien zu dem Thema – allerdings nie prominent oder in der Tiefe. Tischler Michael Stadler, der über auf ihn ausgeübten Druck, im Wirtschaftsbund-Magazin zu inserieren, berichtete, kritisierte auch die "Vorarlberger Nachrichten". Er habe über die Jahre des Öfteren versucht, das Thema dort unterzubringen. Ein Grüner sprach in der "Presse" davon, dass die Zeitung "zugedeckt statt aufgedeckt" habe.

Der Chefredakteur der "Vorarlberger Nachrichten" räumte unlängst selbst ein, dass man die eigene Rolle zu reflektieren habe, die Nähe sei groß. Mittlerweile berichtet ein ganzes Team der Zeitung intensiv über die Causa, und die Verantwortlichen werden in Berichterstattung und Kommentierung nicht geschont.

Was als zeitgemäß gilt

Zurück zur Wirtschaftskammer: Die Verflechtung zwischen dem Wirtschaftsbund und der Interessenvertretung beschränkt sich freilich nicht nur auf besagten Mitarbeiter. Einerseits galt Jürgen Kessler neben dem offiziellen Kammer-Präsidenten, der bekanntlich auch Wirtschaftsbund-Obmann war, als Schattenpräsident, der die Entscheidungen traf. Gewählt oder bestellt war Kessler freilich nie.

Andererseits waren die Verbindungen bis auf die kleinste Ebene, den Kaffee, sichtbar. Für 11.000 Euro pro Jahr versorgte der Wirtschaftsbund zuletzt Funktionäre und Mitarbeiter der Kammer mit Koffein. Es gebe ja eine große Schnittmenge mit dem Wirtschaftsbund, Gegenleistung habe es aber keine gegeben, versichert Kammer-Direktor Christoph Jenny. Seit Februar gebe es diese Lieferungen ohnehin nicht mehr. Man habe mit dem Aufkommen der Wirtschaftsbund-Affäre hinterfragt, was Dinge sind, die zeitgemäß seien. "Und was Dinge sind, die von Medien als Skandal angesehen werden könnten."

Apropos Kaffee: Der war diese Woche auch in der Landesregierung Thema. Wallner musste festhalten, dass in Zukunft jeder Landesrat den Kaffee selber zu finanzieren habe. Im Büro des Wirtschaftslandesrates war es jahrelange Praxis, dass der Wirtschaftsbund hierfür offenbar Bargeld zuschoss.

Eigene Regeln

Die Causa macht derzeit für viele auch deutlich, dass sich eine wirtschaftspolitische Elite nicht an Regeln hielt, die für viele andere Leute gelten. Motto: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher. Da war diese Woche beispielsweise der Fall des ÖVP-Landesgeschäftsführers, der einräumte, für Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Dienstort Kilometergeld abgerechnet zu haben. 2018 sei aber Schluss damit gewesen, versichert er.

Auch dass es für jede Buchung einen Beleg braucht, schien nicht so wichtig zu sein. Jene 4.500 Euro, die mit dem Zweck "Zuwendung an das Rote Kreuz" den Wirtschaftsbund verließen, kamen bei der Organisation nie an. Die Geschäftsführerin des Roten Kreuzes verkaufte Jürgen Kessler – das ist der ehemalige Wirtschaftsbund-Geschäftsführer – laut STANDARD-Informationen 2019 allerdings eine Wohnung. 2020 erhielt er vom Wirtschaftsbund ein zinsloses Darlehen in der Höhe von 250.000 Euro für Immobilieninvestitionen. Seit 2016 kaufte Kessler noch zwei andere Wohnungen und ein großes Grundstück. Kesslers Vorgänger zahlte mutmaßlich vom Wirtschaftsbund-Konto in seine Lebensversicherung ein und nahm ein teures Auto mit in die Pension. Auch das war möglich im Vorarlberger Wirtschaftsbund.

Unfreiwilliger Lernprozess

Nicht alles, was die Causa ans Licht bringt, ist strafrechtlich relevant. ÖVP-Landtagsabgeordnete kritisieren das – man mache aus Mücken Elefanten. Aber Wallner äußerte sich ähnlich wie Kammer-Direktor Jenny: "Dinge, die vielleicht in der Vergangenheit bei niemandem wirklich als Problem gesehen wurden, sind ein Problem." Die gegenseitige Nähe einer wirtschaftspolitischen Elite wird im Ländle nun für manche erstmals sichtbar und von einigen bereits reflektiert. Für viele beginnt ein unfreiwilliger Lernprozess. (Lara Hagen, 29.4.2022)