Das antike Theater von Epidaurus ist Reiseziel fast aller Griechischlernenden.

Foto: EPA / Orestis Panagiotou

Für rund 40.000 Schülerinnen und Schüler an AHS und BHS in ganz Österreich geht es ab dieser Woche in die Zielgerade ihrer schulischen Laufbahn: Die schriftliche Matura beginnt heute, Montag, und zwar mit den klassischen Sprachen Latein und Griechisch. Zwei Fächer, in denen niemand maturieren muss. Wer dort antritt, macht das freiwillig und bewusst. In Latein wollen das heuer insgesamt rund 2100 Kandidatinnen und Kandidaten. In Griechisch wiederum treten in ganz Österreich exakt fünfzehn Jugendliche an, um zu zeigen, was sie in diesem Gegenstand gelernt haben.

Drei Handvoll Teenager also, die zum Beispiel wissen, dass der Traubenzucker, den sie zur Klausur mitbringen, auch Glukose genannt wird, weil das ein Lehnwort aus dem Griechischen ist und "süß" bedeutet. Und die natürlich in der Lage sind, griechische Buchstaben zu lesen und zu schreiben. Die Lateinkundigen wiederum können erklären, warum die Nivea-Hautcreme so heißt, wie sie heißt: nämlich weil sich ihr Name von der weiblichen Form des lateinischen Adjektivs "niveus" – zu "nix, nivis", Schnee – ableitet. Es ist also "die Schneeweiße" in der berühmten blauen Dose.

Von Platon bis Popper

Außerdem haben beide Sprachgruppen gelernt, selbstständig Texte zum Beispiel über Humor, Spott und Satire in der Antike zu interpretieren, Herrscherpropaganda zu dechiffrieren oder unterschiedliche Formen der Organisation eines Staats zu vergleichen und in die Gegenwart zu denken, etwa indem sie Ciceros "De re publica" mit Platons "Politeia", der österreichischen Bundesverfassung und Karl Poppers "offener Gesellschaft" analysieren.

Warum aber wählen junge Menschen heute uralte Sprachen und Kulturen als Maturafach? "Weil mir das Fach sehr gut gefällt", sagt Thomas Aigner, der am Bischöflichen Gymnasium Petrinum in Linz neben drei Mädchen der einzige Kandidat ist, der heuer Griechisch gewählt hat. Angst vor dem Termin hat er folglich keine: "Obwohl mir bewusst ist, dass ich am Montag eine Griechisch-Matura schreiben werde, unterscheidet sich mein Gefühl nicht großartig von dem, das ich vor einer regulären Schularbeit habe – tatsächlich unterlief mir diesbezüglich bereits der eine oder andere Freud’sche Versprecher", erzählt der Maturant. Er fühle sich "ausreichend vorbereitet", sein Lehrer habe ihm "ein gutes Gefühl gegeben".

Sein Lehrer ist Wilhelm Anschuber, der am Petrinum beide Sprachen – Latein und Griechisch – unterrichtet. "Griechisch wählen mehrheitlich gute und leistungsbereite Schülerinnen und Schüler zur Matura", erzählt der klassische Philologe. Allerdings schrumpft diese Gruppe. Als Anschuber vor 35 Jahren als Lehrer anfing, gab es in Oberösterreich noch sechs klassische Gymnasien, an denen Latein (ab der dritten Klasse für alle) und Griechisch (wahlweise ab der fünften Klasse oder eine zweite lebende Fremdsprache nach Englisch; rund ein Viertel nimmt Griechisch) gelehrt und gelernt wurden, so sind es jetzt nur noch drei: neben dem Petrinum das Akademische Gymnasium Linz und das Stiftsgymnasium Kremsmünster.

Ruhig, weil gut vorbereitet

Die Achtklässlerin Jana Prenneis ist eine derer, die Latein gewählt haben. Auch sie geht "ruhiger als erwartet" in die Prüfung: "In den Vorbereitungsstunden haben wir uns noch einmal genau mit dem Format der Matura beschäftigt, und das hat mir die Angst genommen. Ich fühle mich gut vorbereitet", sagt sie.

Welche Beispiele Jana und Thomas konkret bearbeiten müssen, weiß auch ihr Lehrer Anschuber nicht, denn auch in den klassischen Sprachen gibt es – wie in den öffentlich meist breiter diskutierten Hauptfächern Mathematik, das am Dienstag dran ist, sowie Deutsch und Englisch – einheitliche, zentral vorgegebene Aufgaben. Sie bestehen aus einem Übersetzungs- und einem Interpretationstext mit mehren Fragestellungen. Die Zentralmatura sei mittlerweile "etabliert", sagt der Leiter der oberösterreichischen Arge Griechisch: "Wir haben wenig Grund zur Kritik. Es waren immer schöne, anspruchsvolle Texte." Im Übrigen, betont Anschuber: "Oberstufe heißt ja nicht, die Matura vorzubereiten. Eigentlich rennt die Matura am Ende automatisch. Wenn man seine Sache ordentlich macht, sind die Schülerinnen und Schüler bestens auf die Zentralmatura vorbereitet."

Eine Stunde mehr "dank" Coronavirus

Für die Lösung der Aufgaben haben die Kandidatinnen und Kandidaten 330 Minuten Zeit – "dank" Corona seit 2020 also eine Stunde mehr als in früheren Zeiten. Wobei: "Meine Schülerinnen und Schüler haben diese Bonuszeit alle nicht gebraucht", berichtet Clara Ledermann. Sie unterrichtet am Gymnasium Klosterneuburg Latein und Deutsch. Die 31-jährige Initiatorin des Projekts #SprichLatein beschreibt die in Latein Maturierenden aufgrund der freiwilligen Wahl des Fachs ebenfalls als "ausgezeichnete Schülerinnen und Schüler, die über längere Zeit Interesse für das Fach und eine große Selbstständigkeit im Umgang mit den Inhalten entwickelt haben. Sie müssen Texte übersetzen, die zwischen 20 und 2000 Jahre alt sind, ohne veraltet zu sein." So war bei der Matura 2021 zum Beispiel ein Dichterwettstreit in Alexandria die antike Rampe, auf der das Thema Plagiat höchst aktuell verhandelt wurde.

Mit dem Wissen um das zeitlose Potenzial der "alten" Stoffe sei es wichtig gewesen, dass Latein und Griechisch auch "zentralisiert" werden, sagt die Philologin: "Diese Sprachfächer leben nicht in der Vergangenheit. Und die Zentralmatura bewirkt ja auch, dass MindestStandards eingeführt, Vergleichbarkeit ermöglicht und Transparenz geschaffen wird."

Corona? Trotzdem geschafft!

Und die Pandemie? Welchen Einfluss hatte das Coronavirus auf den mittlerweile dritten Maturadurchgang? "Relativ wenig", ist Maturant Thomas froh, "dass das Abschlussjahr recht glimpflich über die Bühne ging". Und Maturantin Jana sagt: "Auch wenn die Pandemie den Schulalltag stark beeinträchtigt hat und der Online-Unterricht anstrengend war, haben wir es trotzdem bis hierhin geschafft."

Da bleibt nur noch, die titelgebenden lateinischen und griechischen Wünsche auch allen anderen Kandidatinnen und Kandidaten mitzugeben: *Alles Gute für die Matura! (Lisa Nimmervoll, 2.5.2022)