Bei Sturm gab Ivica Osim von 1994 bis 2002 mit Ironie und Bescheidenheit den Gegenpol zu Kartnig.

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Osim 1999 als Jahrhundert-Trainer von Sturm Graz.

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Osim 1990 als letzter Trainer Jugoslawiens.

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Der frühere Fußball-Trainer und -Intellektuelle Ivan "Ivica" Osim ist am Sonntag überraschend verstorben. Das vermeldete Fußball-Bundesligist Sturm Graz unter Berufung auf Osims Familie, während der traditionellen Jahresfeier anlässlich des Gründung des Vereins am 1. Mai. Der "Strauß von Zeljo" starb wenige Tage vor seinem 81er am 6. Mai.

In seiner Heimat Bosnien und in Graz genoss Osim schon zeitlebens Legendenstatus. Sturm Graz übernahm er als Mittelständler, gewann dank Offensivfußball zweimal den Meistertitel (1998, 1999), dreimal den Cup (1996, 1997, 1999) und schaffte dreimal den Einzug in die Champions League (1999 bis 2001). Graz ist, wie Osim immer betont hat, für ihn "zweite Heimat" geworden. Sein Tod am 1. Mai – gleichzeitig der 113. Geburtstag von Sturm – kam für viele trotz langjähriger Krankheitsgeschichte dennoch überraschend.

Legendäre Monologe

"Wunder passieren von Zeit zu Zeit, diesmal uns. Die Spieler wollten zeigen, dass sie keine Klopfer sind und Fußball spielen können. Wir haben verdient gewonnen, Galatasaray hatte keine echte Chance. Fußball ist praktisch das einzige Spiel, wo die bessere Mannschaft verlieren kann. Fußball ist sehr leicht, und alles, was leicht ist, ist auch schwer. Wir haben gezeigt, wir können rivalisieren."

Am 20. September 2000 hatte sich der SK Puntigamer Sturm Graz auf die Reise zum größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte gemacht, und Trainer Ivan "Ivica" Osim setzte zu einem seiner legendären Monologe an. Das 3:0 über Galatasaray Istanbul im ersten Heimspiel der Champions-League-Saison 00/01 machte das 0:5 gegen die Glasgow Rangers im ersten Auswärtsspiel vergessen. Es zeigte der Mannschaft, wozu sie fähig war. Ivica Osim wusste das natürlich längst.

Ironie und Bescheidenheit

"Wir haben Glück, gegen solche Mannschaften schon gespielt zu haben, gegen Manchester, gegen Real, gegen Spartak Moskau. Da haben die Leute gesehen, wie man Fußball interpretieren kann. Spielerisch kann man einen von uns mit einem von denen vergleichen. Aber Fußball ist nicht Tennis, Fußball ist zehn gegen zehn. Bei uns haben manchmal nur sechs oder sieben partizipiert, das geht dann mathematisch nicht. Wenn du ständig beschäftigt bist, machst du irgendwann Fehler. Das war eine schöne Schule, eine Lektion, wie die Franzosen sagen. Vielleicht ist es gegen die großen Namen leichter geworden, von der Atmosphäre her. Ich bin kein Prophet."

Es war Sturms, es war Osims dritte Saison in der Champions League. Sein alter Spezi Heinz Schilcher, der Sturm-Manager, den er aus gemeinsamen Kickerzeiten bei Racing Straßburg kannte, hatte ihn nach Graz geholt, wo Osim mit seiner feinen Ironie und Bescheidenheit den Gegenpol zum polternden, prassenden Klubchef Hannes Kartnig gab. Osim holte Ivica Vastic aus Duisburg, und schon ging es dahin. Sturm holte 1996 erstmals den Cup, übersiedelte ins Schwarzenegger-Stadion, wurde 1998 erstmals Meister – mit 81 Punkten und einem Rekordvorsprung von 19 Zählern auf Rapid.

Leistung und Erfolge

"Man muss sehen, was los ist. Jetzt fragen wir uns, wo wir stehen. Wir haben fünf, die sind einbeinig. Und die Spitzenteams in Europa? Das ist ein Vorteil, wenn alle zweibeinig sind. Du verlierst keine Zeit, du musst nie zittern, was los ist. Das kann man nicht komparieren. Gut, Salzburg hat damals gegen Ajax und Milan remisiert. Aber Salzburg hat das Spiel destruktiv gemacht, da haben neun verteidigt. Das kann ich nicht, das will ich nicht. Da verlier’ ich lieber, als ich spiele 0:0."

0:0 spielte Sturm selten. Siehe Champions League. Beim ersten Antreten schaute in einer Gruppe mit Real Madrid, Inter Mailand und Spartak Moskau ein Punkt heraus, beim zweiten Antreten (gegen Manchester United, Marseille, Croatia Zagreb) waren es sechs Punkte. Dann der dritte Anlauf, das 0:5, dem ein 3:0 folgte, dem ein 0:5 folgte. Am Ende hatte Sturm daheim gegen Galatasaray (3:0), Monaco (2:0) und Glasgow Rangers (2:0) gewonnen, ein 2:2 in Istanbul besiegelte den Gruppensieg.

Sarajevo verbunden

"Aber nach so einem Spiel gibt es jetzt wieder die Gefahr, dass die Meisterschaftsspiele nicht so ernst genommen werden. Jetzt werden wieder viele träumen, auch vom Geld. Geld ist Glück und Unglück. Zu viel ist gefährlich, für zu wenig will keiner arbeiten. Ein paar haben es im Ausland versucht, hier leben viele leichter. Aber sie verlangen nicht mehr alles von sich, sie müssen sich mehr trauen, sonst beschädigen sie den Fußball."

"Seine" Stadt war Sarajevo, wo er am 6. Mai 1941 geboren ist. Sie nannten ihn Švabo, den Schwaben, ob seiner blonden Haare und deutschen Wurzeln. Und sie sahen ihn, der stets Toleranz gepredigt und gelebt hat, als Integrations- und Leitfigur. Viele wünschten sich, Osim wäre in die Politik gegangen, doch die Politik war nicht sein Spielfeld. Der Bürgerkrieg wurde zur Tragödie seines Lebens – nicht weil das von ihm trainierte Jugoslawien von der EM 1992 ausgeschlossen wurde (wo Jugoslawiens Ersatzteam Dänemark siegte). Sondern weil Sarajevo in Schutt und Asche lag.

Letzter Teamchef Jugoslawiens

"Ich kann mich nicht mehr freuen. Freude gibt es nach all dem, was in meiner Heimat passiert ist, nicht mehr. Wenn es nicht mehr funktioniert, bin ich auch bereit zu gehen. Ich hab’ lange überlegt, gehe ich ein komplettes Risiko ein, irgendwo anders, oder bleibe ich, wo mich die Leute kennen? Vielleicht kann ich hier ein bisschen Geduld erwarten, das ist heute nicht selbstverständlich, alle wollen gleich Resultate. Das Resultat deckt in Österreich alles zu. Niemand will Verlierer. Das ist alles, was man sagen kann."

Ivica Osim hat, wo immer er spielte und coachte, wo immer er sprach, bleibenden Eindruck hinterlassen. Für Jugoslawien erzielte er acht Tore in 16 Teamspielen. Als Trainer wirkte er bei Željezničar Sarajevo, Partizan Belgrad, Panathinaikos Athen, Sturm und United Ichihara Chiba. Eher zu Beginn seiner Trainerlaufbahn war er der letzte Teamchef Jugoslawiens, am Ende war er japanischer Teamchef. Ende 2007 erlitt Osim in Tokio einen Schlaganfall. Er erholte sich, verbrachte die letzten Jahre im Kreise der Familie (Frau Asima, Söhne Amar und Selimir, Tochter Irma) vor allem in Graz, pendelte aber oft nach Sarajevo. Am Sonntag ist Ivan "Ivica" Osim im Alter von 80 Jahren verstorben. (Fritz Neumann, 1.5.2022)

Reaktionen:

Christian Jauk (Sturm-Präsident): "Der größte von Sturm ist gegangen. Er war eine Persönlichkeit, nicht nur im Fußball und im Sport, sondern weit darüber hinaus. Ein großes Vorbild für uns alle. Die Sturm-Familie trauert, wird zusammenhalten und ihn gebührend ehren."

Hermann Schützenhöfer (Steirischer Landeshauptmann/ÖVP): "Ich bin tief betroffen über das Ableben der Fußball-Ikone und Sturm-Legende Ivica Osim. Die Steiermark ist dankbar für das menschliche Lebenswerk in seiner seine Haltung zum Jugoslawienkrieg und zur Belagerung von Sarajevo, die ihn zu einer großen Persönlichkeit macht. Seine sportlichen Leistungen, mit denen er Sturm Graz zu einem Jahrhundert-Hoch verhalf, sind unvergessen. Die Spiele in Graz Liebenau unter seiner Trainerschaft haben historischen Charakter für die Fußballwelt!"

Elke Kahr (Grazer Bürgermeisterin/KPÖ): "Ivica Osim hat Graz entscheidend geprägt. Nicht nur seine Leistungen als Trainer des SK Sturm, sondern auch seine zutiefst menschliche Haltung haben ihn zu einer Persönlichkeit gemacht, die uns allen in Graz viel bedeutet."

Christopher Drexler (Sport-Landesrat/ÖVP): "Das Sportland Steiermark trauert um einen großartigen Menschen und wird ihm für seine sportlichen Leistungen, die für immer mit dem SK Sturm, mit Graz und der Steiermark verbunden sein werden, stets ein ehrendes Andenken bewahren."

Herbert Prohaska (Jahrhundert-Fußballer Österreichs/via ORF): "Für mich als junger Trainer war natürlich jemand wie Osim ein Vorbild. Seine Erfolge, die er mit Sturm hatte, sprechen für sich. Menschlich durfte ich ihn auch kennenlernen, ein großartiger Mann mit sehr viel Ahnung von Fußball."

Roman Mählich (Ex-Sturm-Spieler unter Osim/via ORF): "Was hat Osim ausgemacht – das würde zu lange dauern. Ich kann nur sagen, er war ein großartiger Trainer und ein noch viel großartigerer Mensch. Es tut mir wirklich sehr, sehr leid und macht mich sehr traurig."

Markus Schopp (Ex-Sturm-Spieler unter Osim/via Radio Soundportal): "Das Schöne und Interessante an der Zusammenarbeit mit Ivan war es auch, wie er es geschafft hat, Menschen zu entwickeln. Menschen, die jung und unerfahren sind, die alles tun, um als Sportler erfolgreich zu werden. Er hat es trotzdem geschafft, jedem das größere Ganze zu vermitteln. Demütig zu sein und zu wissen, wie privilegiert man als Sportler ist."

Hannes Kartnig (Sturm-Präsident in der Osim-Ära via "Kleine Zeitung"): "Jetzt gibt es nur noch einen von den drei Grazer Musketieren. (Heinz) Schilcher ist vor Jahren verstorben, jetzt Osim. Das tut mir sehr weh. Osim war ein ganz großer Trainer. Er hat sogar ein Angebot von Real Madrid abgelehnt, er wollte in Graz bleiben. Osim war ein ganz besonderer Mensch. Nur eines konnte er leider nicht. Er hat nie seine Freude zeigen können. Er hat den Umgang mit den Spielern beherrscht. Osim hat Österreich und die Steiermark in der ganzen Welt bekannt gemacht und er hat Graz geliebt."

Mario Haas (Spieler unter Osim via "Kleine Zeitung"): "Er war grandios und einfach genial – als Trainer und Mensch. Er hat bei Sturm eine ganze Generation geprägt. Unter Osim haben sich alle weiterentwickelt. Er war streng, hat uns aber auch viele Freiheiten gelassen. Wir alle bei Sturm werden ihn vermissen. Dass er ausgerechnet am 1. Mai zu Sturms Geburtstag gestorben ist, ist Wahnsinn. Ich denke, das kommt irgendwie von oben. Osims Todestag ist Sturms Geburtstag, unglaublich."

Werner Kogler (Vizekanzler/Sportminister/Grüne via Twitter): "Kaum jemand hat den SK Sturm so geprägt wie Ivica Osim. Mit ihm als Trainer wurden die Schwoazn zweimal Meister und schafften es dreimal in die Gruppenphase der Champions League. Als Grazer habe ich seine Wirkung über den Fußball hinaus gespürt und die Gespräche mit diesem bedeutenden "Fußball-Philosophen" sehr geschätzt. Ein großer Mensch, der uns heute verlassen hat!"