
Warum kann nicht auch unsere Regierung eine externe Analyse der Corona-Maßnahmen beauftragen, um für die nächsten Krisen zu lernen?
Schon zu Beginn der Pandemie hatte die Regierung entschieden, ihre Corona-Maßnahmen durch eine Gruppe von teils internationalen Wissenschaftern evaluieren zu lassen. Letzte Woche wurde der Bericht präsentiert. Als Grundlage dienten unter anderem die Analyse von tausenden Seiten Dokumenten, eine repräsentative Umfrage unter der Gesamtbevölkerung und qualitative Interviews. Grundsätzlich kommt die Arbeit der Regierung gut weg, wenngleich die Schulschließungen im Jahr 2020 als übertriebene Maßnahme bewertet wurden. Sie können die "Evaluation der Krisenbewältigung Covid-19" im Netz herunterladen. Nur handelt es sich dabei nicht um unsere Regierung, sondern um die der Schweiz.
Hierzulande konnten wir in den letzten beiden Jahren teils systemisches Staatsversagen beobachten. Der Verlust des Vertrauens in politische Instanzen ist enorm. Natürlich hat die Politik einen erheblichen Teil dazu beigetragen, dass wir nun mit mehr Schulden und im Europa-Vergleich keinen besonders guten Kennzahlen dastehen. Für diese Erkenntnis brauchen wir keine Evaluierung. Diese Woche liegt das Antikorruptionsvolksbegehren zur Unterschrift auf. Ein Erfolg wäre ein Anstoß für dringend notwendige Reformen.
Altpolitiker und Hobbyvirologen
Warum kann nicht auch unsere Regierung eine externe Analyse der Corona-Maßnahmen beauftragen, um für die nächsten Krisen zu lernen? Ein Altpolitiker, der mit seinen Pandemiememoiren durch die Lande tingelt, bringt uns ebenso wenig weiter wie Journalisten, die sich seit Monaten auf Twitter als Hobbyvirologen betätigen. Die aktuelle Lage in Europa erfordert dringendes Handeln und Umdenken.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die immer manifester werdenden Klimakrise, Inflation und wachsende Ungleichheit sind massive Herausforderungen. Unser Motto sollte heißen: Erwarte das Schlimmste, mache einen Plan und bereite dich vor. Dazu gehört ein konstruktiver Umgang mit Fehlern. Dieser mag schwer sein für uns, denn wir verfügen über eine ausgeprägte Schuld-, aber wenig Fehlerkultur. Eine faktenbasierte Analyse der Corona-Politik könnte dazu beitragen.
Was muss getan werden, um intransparente Macht- und Entscheidungsstrukturen im Gesundheitswesen und anderen Verwaltungsbereichen aufzubrechen? Wo braucht es besseres Datenmanagement und mehr Digitalisierung? Wo waren föderale Strukturen hinderlich, wo vielleicht von Vorteil? Welche Verwaltungsebenen haben in der Pandemiebekämpfung sogar gut funktioniert, Schlimmeres verhindert, und wie können wir diese stärken?
Ungenaue Ausschüttung von Geldern
Eine kritische Analyse der Förderpolitik des Bundes ist dringend nötig. Noch einmal können wir uns eine Milliardenverteilaktion nicht leisten. Schon allein aus dem persönlichen Umfeld weiß ich, wie ungenau Gelder ausgeschüttet wurden. Das geschah zum Teil mit Absicht. Hoteliers und Skischulen hatten entweder eine bessere Lobby – oder bessere Steuerberater.
Doch auch ohne eine Corona-Evaluation können wir erahnen, was es braucht, um als Staat und Gesellschaft in einer Zeit von Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit zu bestehen: bessere Daten, transparente Informationsflüsse und Kommunikation, ein Aufbrechen der Silos und vor allem Entscheidungsspielräume für eine Verwaltung ohne permanente Einmischung der Politik. (Philippe Narval, 2.5.2022)