Manchmal stellt sie sich tot: Ist die Mutter (Barbara Petritsch) verrückt oder nur böse, fragt sich Christian (Johannes Zirner).

Susanne Hassler-Smith

Er ist zurück in Zürich. 1995 begründete der Schweizer Autor Christian Kracht mit Faserland die deutschsprachige Popliteratur mit, vergangenes Jahr legte er mit Eurotrash eine Fortsetzung nach. Sie führt ihren den Namen des Autors tragenden Helden alle paar Monate ans Ufer der Zürichsees, in "diese Stadt der Angeber und Aufschneider", die ihm mit ihrem Luxus und der Nationalfolklore zuwider ist. Der Zustand der Mutter verlangt jedoch hin und wieder, dass der Sohn nach dem Rechten sieht. Billiger Wein aus Flaschen mit Schraubverschluss und hoch dosierter Pillenkonsum geben Anlass zur Sorge.

Wie lässt sich dem Teufelskreis entkommen? Mit dem Taxi! "One for the road", nimmt Mama noch einen Schluck aus der Wodkaflasche, steckt sie in die Handtasche und los geht’s. Beim Zwischenstopp bei der Hausbank nimmt das Gespann 600.000 Franken im Plastiksackerl mit, um sie zu verschenken.

Wieder Kind

Barbara Petritsch und Johannes Zirner geben im Wiener Akademietheater ein herzallerliebstes Mutter-Sohn-Duo ab. Seinen Pullover, den er gerade am Stand einer Ökokommune gekauft hat, kommentiert sie zur Begrüßung mit "furchtbar". Er beklagt an ihr seit Kindertagen mütterliche Kälte. Und doch stellt er sich hinter die mit Grandezza auf dem Rollator sitzende Dame, kämmt ihr Haar sanft mit der Bürste, die er in der Manteltasche mitgebracht hat. Ein Ritual, offensichtlich. In ihrer beider Deformation passen sie zueinander. Er war immer schon übersensibel – sagt Zirner "Mama", schrumpft er fast zum Kind.

Ensemblemitglied Itay Tiran hat nach Vögel und Mein Kampf erneut Regie geführt, die Inszenierung läuft so reibungslos wie ein Schweizer Uhrwerk. Eine fahrbare Couch (Ausstattung: Nina Wetzel) kutschiert durch das Roadmovie. Man geht Fisch essen, fährt glücklos auf den Berg, um Edelweiß zu bestaunen. Petritsch sieht mit Sonnenbrille cool aus wie Joan Didion, Zirner probiert Schweizer Dialekt an. Man verliert sich in Erinnerungen an Urlaube an der Cote d’Azur und in Diskussionen über die Nazivergangenheit der Familie. Die Nazi-Sache dient aber mehr dem familiären Konflikt als einer Gesellschaftskritik.

Herrliche Ausbrüche

Stets taumelt der Ausflug am Rande des Nervenzusammenbruchs. Krachts Roman baut auf zwei Figuren auf, die schon ein ganzes Leben miteinander hinter sich haben. Da brodelt so viel unter der Oberfläche, er muss Konflikte kaum motivieren: Die Ausbrüche geraten herrlich. Etwa wenn sie ihm vorhält, er soll bessere Bücher schreiben. Im Schminkköfferchen sind die Beutel für ihren künstlichen Darmausgang. Mutter und Sohn verbindet: Beiden schlägt Stress auf die Verdauung.

Diese Achterbahn von störrisch bis zärtlich, von Liebessehnsucht bis Einsamkeit hat das Darstellerduo famos drauf. Die Lacher fliegen ihm zu. Eurotrash wird ein Publikumserfolg! Gediegen, doch flott, mit charmanten Einfällen und Herz umgesetzt und rührend, bis der letzte manisch funkelnde Glitzervorhang fällt. (Michael Wurmitzer, 2.5.2022)