In den tropischen Gewässern droht der größte Artenschwund.

Foto: Imago/OceanPhoto/Reinhard Dirscherl

Die Modelle von Penn und Deutsch können auch das Rätsel aufklären, warum die Artenvielfalt am Äquator abfällt: das warme Wasser hat schlicht zu wenig Sauerstoff.

Foto: Imago

Die Ozeane gelten als Wiege des Lebens – bei ungebremsten Emissionen droht bis Ende des Jahrhunderts ein maritimes Massensterben.

Foto: Imago/Robert Harding

Steigende Temperaturen, Lebensraumverlust und Verschmutzung führen dazu, dass weltweit immer mehr Arten verschwinden. Der Biodiversitätsverlust ist bereits so stark ausgeprägt, dass Forschende von einem sechsten Massenaussterben sprechen. Im Gegensatz zu früheren derartigen Ereignissen ist die Aussterbewelle diesmal einer einzigen Spezies zuzuschreiben: Homo sapiens.

Bislang standen bei Forschungen zum Artensterben landlebende Arten im Fokus. Die Vermutung war, dass terrestrische Ökosysteme unmittelbarer von den klimatischen Veränderungen betroffen sind als maritime Ökosysteme. Auch war man davon ausgegangen, dass meereslebende Arten resilienter sind als landlebende Spezies. Doch wie eine neue Studie von Forschenden der Princeton University zeigt, die kürzlich im Fachblatt "Science" erschienen ist, droht auch in den Meeren eine Aussterbewelle von historischem Ausmaß. Die Schuld dafür trägt einmal mehr der Mensch. Mit couragierten Klimamaßnahmen könnte das Schlimmste allerdings noch abgewendet werden.

Modelle für unterschiedliche Szenarien

Die Arbeit von Justin Penn und Curtis Deutsch liefert Modelle dafür, wie sich die Biodiversität in den Meeren je nach Emissionsszenario in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. Dabei zeigt sich, dass ungebremste Emissionen dazu führen würden, dass die Erwärmung und der daraus resultierende Sauerstoffmangel in den Meeren bis Ende des Jahrhunderts sämtliche anderen Negativfaktoren wie Fischerei und Verschmutzung in den Schatten stellen würden.

Die Folge wäre eine verheerende Sterbewelle, durch die der massivste Biodiversitätsverlust in den Meeren seit des größten Massensterbens in der Geschichte vor 250 Millionen Jahren erfolgen würde.

Zukunft nicht in Stein gemeißelt

Die Modelle von Penn und Deutsch zeigen, dass der größte Biodiversitätsverlust in den tropischen Gewässern zu befürchten ist. Viele der dort lebenden Arten könnten aber in kälteren Regionen Zuflucht finden. Spezies, die an das Leben in polaren Breiten angepasst sind, drohen dagegen für immer von unserem Planeten zu verschwinden.

Ihren ursprünglichen Titel für die Arbeit "Marine extinction risk from climate warming" ließen die Forscher fallen und wählten stattdessen "Avoiding ocean mass extinction from climate warming". Die Modelle zeigen nämlich auch, dass der drohende Artenverlust um 70 Prozent verringert werden könnte, wenn eine Emissionsreduktion im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen erfolgt. "Die gute Nachricht ist, dass die Zukunft nicht in Stein gemeißelt ist", sagt Erstautor Justin Penn, Postdoc-Forscher am Department für Geowissenschaften an der Princeton Universität. "Die Aussterberate, die wir festgestellt haben, hängt stark davon ab, wie viel CO2 wir emittieren werden." Professor Curtis Deutsch betont: "Aggressive Emissionsreduktionen sind zentral, um ein Massensterben in den Meeren zu verhindern."

Langjähriges Rätsel

Beinahe wie nebenbei konnte die Arbeit auch ein langjähriges Rätsel der Meeresbiologie lösen: Bislang war unklar, warum die Artenvielfalt von den Polen in Richtung der Tropen immer mehr zunimmt – dann jedoch beim Äquator rapide abfällt. Wie die Modelle von Penn und Deutsch zeigen, ist der Sauerstoff in den warmen Gewässern beim Äquator einfach zu niedrig für die meisten Spezies. Die große Befürchtung besteht nun darin, dass der vom Menschen gemachte Klimawandel weitere Teile des Ozeans für die allermeisten Spezies unbewohnbar machen könnte. "Die extreme Erwärmung wurde zu einem klimagetriebenen Massenaussterben führen, das gegen Ende des Jahrhunderts alle anderen vom Menschen verursachten Faktoren in den Schatten stellen würde", sagt Penn. (Tanja Traxler, 2.5.2022)