Myhailo Puryschew: "Das ganze Auto war voll mit Essen und vor allem mit Insulin."

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Die Zerstörung in Mariupol ist allgegenwärtig.

Foto: Reuters / Ermochenko

"Die Freiwilligen nennen mich den Kolumbus von Mariupol", sagt Myhailo Puryschew und lacht. "Weil ich als Erster mit Hilfsgütern dorthin fuhr. Zufälligerweise war ich der Pionier." Die Freiwilligen, das sind die vielen Menschen in der Ukraine, die ihren bedrohten und ausgebombten Landsleuten helfen: mit Spenden, mit Lebensmitteln, mit Unterkünften für Flüchtlinge. Doch was Myhailo Puryschew getan hat, das ist außerordentlich. Sechsmal brachte er Hilfsgüter von Saporischschja in das belagerte Mariupol und nahm auf der Rückfahrt Flüchtlinge mit: ohne humanitären Hilfskorridor, ohne vereinbarte Waffenruhe, einfach so – unter Lebensgefahr.

Mariupol ist seine Stadt. Dort lebte der 36-jährige Geschäftsmann, arbeitete, bis die russischen Truppen vorrückten. Myhailo konnte sich in Sicherheit bringen. "Als ich das letzte Mal mit meinen Mitarbeitern sprach, bevor wir den Kontakt verloren, sagten sie: Myhailo, viele Leute kommen zu uns, und wir können sie nirgendwo unterbringen. Und ich sagte: Keine Sorge, ich bin gleich da."

Apokalyptische Bilder

Myhailo kaufte einen roten Transporter, am 8. März verließ er Saporischschja in Richtung Mariupol, das Fahrzeug vollgepackt mit Hilfsgütern. "Das Wichtigste war, Insulin mitzunehmen, Medikamente. Das ganze Auto war voll mit Essen und vor allem mit Insulin. Auch von dort Leute abzuholen war das Ziel. Und das habe ich erreicht."

Die erste Reise dauerte mehrere Tage. Was Myhailo dabei sah, war für ihn apokalyptisch: "Sie fahren, Sie sehen einen verbrannten Panzer, Sie sehen Minenfelder. Ich lernte den Krieg kennen. Verkohlte Leichen lagen auf der Straße, Ausrüstung, Dreck, alles war durcheinander. Ich habe versucht, alles so weit wie möglich zu umfahren, möglichst nichts mitzubekommen, weil nicht immer klar war, ob es sich um eine Leiche handelte oder nur um einen Haufen Dreck."

Immer wieder Checkpoints

Nach vielen Schwierigkeiten kamen sie in Saporischschja an. "An jedem Checkpoint hielten uns die Russen an. Alle mussten das Fahrzeug verlassen, sich ausziehen, wurden durchsucht. Sie überprüften Dokumente, Pässe, Telefone, das war an jedem Checkpoint so, und es waren ungefähr zwanzig derartige Checkpoints."

In Saporischschja lud Myhailo seinen Transporter wieder voll und fuhr erneut in Richtung Mariupol. Immer wieder, solange es ging. Einmal wurde sein Transporter beschossen. Und einmal geriet er in einen Luftangriff. "Das Auto hielt die Splitter ab, es gab eine Schockwelle. Ein sehr scharfer Stoß warf mich hoch und wieder zurück."

Inzwischen musste Myhailo Puryschew seine Fahrten einstellen, für ihn gibt es kein Durchkommen mehr nach Mariupol. Seine Geschichte muss er oft erzählen. Und immer wieder kommt die Frage: Wie viele Menschen hat er in Sicherheit gebracht?

Menschen nie gezählt

Er weiß es nicht genau. Um die 200 werden es wohl gewesen sein. "Ich kam, verteilte schnell die Sachen, unter Granatenbeschuss", berichtet er. "Und ich sagte, ich könne Leute rausbringen. Ich habe Kinder und ihre Eltern eingesammelt, sie sind einfach nur ins Auto geklettert. Ich habe nie gezählt, wie viele Leute ich da rausgeholt habe. Ich habe nur versucht, möglichst viele von ihnen mitzunehmen." (Jo Angerer aus Kiew, 2.5.2022)