Airbnb ist es weitestgehend egal, von wo seine Angestellten ihre Arbeit erledigen. Eine Office-Pflicht gibt es nur noch für wenige Positionen.

Foto: Unsplash/Christin Hume

Braucht ein modernes Internet-Dienstleistungsunternehmen ein klassisches Büro? Mit dieser Frage hat der Unterkunftsvermittler Airbnb sich beschäftigt. Und die Antwort lautet Nein, mit einem kleinen Aber.

Firmenchef Brian Chesky hat ein neues Regelwerk für seine Mitarbeiter vorgestellt. Sollte die Praxis halten, was die Theorie verspricht, so bedeutet dies, dass Airbnb das klassische Office zu Grabe trägt. Mit Ausnahme von wenigen Angestellten in bestimmten Rollen wird die Büropflicht vollständig abgeschafft.

Arbeiten von fast überall

Chesky fasst die neuen Richtlinien grob in fünf Punkten zusammen. Fast jeder kann nun nach eigenem Ermessen von zu Hause oder vom Firmenstandort aus arbeiten. Man kann auch innerhalb des Landes, in dem man tätig ist, an jeden belieben Ort umziehen, ohne dass das Gehalt sich dadurch ändert. Was auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, ist es nicht unbedingt. In den USA – und wohl nicht nur dort – gibt es Unternehmen, die im Arbeitsvertrag festlegen, dass das Gehalt nach einem Standortwechsel an das regionale Einkommensniveau angepasst wird.

Alleine zwischen den US-Bundesstaaten gibt es hier teilweise deutliche Unterschiede. Aufgrund der steigenden Lebenskosten hat etwa bei den Tech-Firmen im Silicon Valley ein gewisser Trend zum Umzug in entferntere, günstigere Ortschaften eingesetzt.

Weiter zu lesen im Blogeintrag von Chesky: Mitarbeiter können künftig auch abseits der Urlaubszeit von überall auf der Welt arbeiten, wobei hier ein recht großzügiges Limit von 90 Tagen pro Jahr gilt. Bei den möglichen Aufenthaltsorten können die Angestellten aus dem Angebot der "Live and Work Anywhere"-Initiative wählen, deren Abdeckung von Buenos Aires bis in die französischen Alpen reicht. Grundsätzlich kümmert Airbnb der Aufenthaltsort darüber hinaus nicht, solange die vereinbarte Arbeit pünktlich erledigt wird. Einschränkend gilt nur, dass weiter "hohe Koordination" vorausgesetzt wird und regelmäßige Treffen – einmal pro Quartal – erfolgen sollen.

Eine mögliche Ausweitung der Freiheiten wird bereits angedeutet. Derzeit ist eine permanente Wohnadresse im Dienstland weiter erforderlich. Eine Übersiedlung in ein anderes Land sei wesentlich komplexer, daher könne man Mitarbeiter, die einen solchen permanenten Wechsel ihres Lebensumfelds anstreben, "in diesem Jahr" noch nicht unterstützen.

Aufstieg der "Bossware"

Was nach rosiger Zukunft für Airbnb-Angestellte klingt, hat sich in anderen Unternehmen allerdings in ein Privacy-Fiasko verwandelt. Andere Firmen haben während der Pandemie viele Mitarbeiter bereits vollständig auf Telearbeit umgestellt. Doch nicht jede davon bringt ihren Arbeitskräften viel Vertrauen entgegen. Das Ende des Büros ist auch der Beginn des Problems mit sogenannter Bossware. Darunter versteht man Software, die vor allem der Überwachung der Mitarbeiter dient.

Der "Guardian" nennt hier etwa den Fall des Analysten James (Name geändert). Er war ein halbes Jahrzehnt für eine große Retailhandelsfirma tätig, ehe man ihm nach Ausbruch des Coronavirus einen Laptop aushändigte und ihn ins Homeoffice schickte. Nach vielen Monaten Arbeit ohne negativen Rückmeldungen wurde er vergangenes Jahr auf einmal in ein Onlinemeeting gebeten und dort wegen "Lücken" in seiner Arbeit gerügt.

Auf diese Beschwerde konnte er sich keinen Reim machen. Wie ihm später mitgeteilt wurde, ging es bei diesen "Lücken" um Zeitabschnitte, in denen keine Eingaben von ihm in der firmeneigenen Datenbank registriert worden waren. Auf dem Firmennotebook war Bossware installiert, die dokumentierte, wenn er seine Tastatur bediente. Diese Daten wurden schließlich für eine Performancebeurteilung herangezogen. Sein Arbeitgeber hatte ihn und andere Angestellte nicht über das Überwachungsprogramm informiert.

Für ihn war das nicht nur ein Vertrauensbruch, sondern auch eine absurde Vorgehensweise. Die beanstandeten Unterbrechungen waren teilweise normale Pausen. Dazu seien Datenbankeingaben nur ein kleiner Teil seines Berufs. Die meiste Zeit, so sagt er, verbringt er damit, mit Verkäufern zu kommunizieren. An seiner Arbeit gab es nichts zu beanstanden, bis auf die Aktivität in der Datenbank. "Sie haben uns Analysten fast so betrachtet, als wären wir Roboter", sagt er.

Prodoscore, Veriato und andere Namen tragen solche Softwareprodukte, die Monitoring von Mitarbeitern vornehmen und versuchen, einen Score für Produktivität zu errechnen. Sie halten teilweise viel mehr fest als Tastaturanschläge. Prodoscore soll bald schon Mitarbeiterchats automatisch scannen und daraus eine Einschätzung liefern, wie wohl sich die einzelnen Angestellten fühlen.

Produktivitätsscores scheitern an der Realität

Die Hersteller empfehlen zwar, ihre Produkte nur komplementär einzusetzen und wichtige Entscheidungen wie Gehaltserhöhungen oder Entlassungen nicht darauf zu basieren. Aber sie sagen auch, dass es im Ermessen ihrer Kunden liegt, welche Bedeutung sie den Scores beimessen. Was sie gemein haben, ist, dass Mitarbeitern oft gar nicht mitgeteilt wird, dass ein solches Monitoring erfolgt. In der EU würde sich dies freilich aufgrund geltender Datenschutzregeln erheblich schwerer gestalten und je nach Fall und Einsatz zumindest eine klare schriftliche Einwilligung des Arbeitnehmers voraussetzen. In den USA ist der geheime Einsatz hingegen in vielen Bundesstaaten nicht verboten.

Merve Hickok vom Center for AI and Digital Policy und Spezialistin für KI-Ethik sieht das mit Besorgnis. Sie kritisiert etwa, dass automatisch eine Bewertung vorgenommen wird, was "produktiv" ist und was nicht. Hilft etwa ein Mitarbeiter einem Teammitglied, so könnte diese Zeit mangels eigener Angaben quasi als Pause gewertet werden, obwohl die Person eine wichtige Leistung für ihr Unternehmen erbringt. Und werden solche Scores eingesetzt, um Konkurrenz innerhalb der Belegschaft zu erzeugen, so könne dies dazu führen, dass die Betroffenen letztlich nur noch nach Wegen suchen, wie man das System überlisten kann, um möglichst einfach einen hohen Score zu bekommen.

Der Psychologe Nathaneal Fast von der University of South Carolina befürchtet außerdem schädigende Auswirkungen auf das geistige Wohlbefinden. Konstant überwacht zu werden verringere das Gefühl, autonom handeln zu können, was wiederum Stress und Angst verstärkt. Entsprechende Beobachtungen gibt es schon lange aus der Callcenter-Branche, die im Prinzip der Pionier solcherart Überwachung ist.

Widerstand

Das Problem wird die neue Arbeitswelt wohl noch länger begleiten, manche ziehen dagegen aber schon aktiv zu Felde. In dieser Gruppe finden sich nicht nur Arbeitsrechtler und Datenschützer, sondern auch der Basecamp-CEO David Hansson. Das von ihm mitgegründete Unternehmen bietet eine Projektmanagementplattform für Telearbeit an. Er kündigte bereits im Mai 2020 an, dass er Anbietern von Technologien zur Mitarbeiterüberwachung die Integration mit seinem Dienst verbieten werde.

Einige Firmen argumentierten dagegen, da sie sich selbst gar nicht als Überwachungsanbieter verstehen. Er selber könne aber nicht viel bewegen, da der Markt für diese Produkte mittlerweile recht groß sei. Auch in den USA brauche es daher eine gesetzliche Regelung. (gpi, 2.5.2022)