Linz – Stellen wir uns einmal vor, es gäbe in Österreich keine Demokratie: Hätte das irgendwelche persönlichen Konsequenzen für den Einzelnen? Genau zu diesem Gedankenexperiment lud das Linzer Market-Institut 800 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte ein. Diese sollten das Statement "Wenn es in Österreich keine Demokratie gäbe, ginge es mir persönlich auch nicht schlechter als heute" nach dem Schulnotensystem bewerten – nur sechs Prozent ist die Demokratie so wenig wichtig, dass sie mit einem Einser völlig zustimmten, weitere sieben Prozent gaben einen Zweier, stimmten also teilweise zu. 38 Prozent lehnten die Aussage völlig (Fünfer) ab, 18 Prozent bekundeten mit einem Vierer weitgehende Ablehnung. Besonders klare Ablehnung kommt aus der Grünen-Wählerschaft, besonders geringe von den Anhängerinnen und Anhängern der FPÖ und der MFG.

Das österreichische Parlament mag zwar eine Baustelle sein, aber Demokratie kann auch in einem angemessenen Ausweichquartier in der Hofburg stattfinden.
Foto: Heribert Corn

Die Idee der Demokratie finden 91 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung gut oder sehr gut – dies ist über viele Jahre unverändert. Allerdings ist da über die Jahre eine sieben Prozent starke Gruppe herangewachsen, die Demokratie weniger bis gar nicht gut findet. Und zwei Prozent äußern lieber gar keine Meinung zu dieser Frage.

Nun kann man natürlich die Frage stellen, ob Österreich überhaupt als Demokratie empfunden wird – und auch das hat Market im Auftrag des STANDARD getan. Die entsprechende Aussage lautete: "Österreich ist eine Scheindemokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger nichts zu sagen haben". Dem stimmen tatsächlich 14 Prozent völlig und 18 Prozent teilweise zu. Wiederum zeigt sich, dass die Gefolgschaft von MFG und (in geringerem Maße, aber immer noch mehrheitlich) Freiheitlichen hier Einser und Zweier vergibt.

Vergleichbares Niveau mit Deutschland

Dieselbe Frage hatte das deutsche Allensbach-Institut im April im Auftrag des SWR unter deutschen Wahlberechtigten erhoben und war auf insgesamt 31 Prozent Zustimmung zu der Behauptung gekommen, dass Deutschland eine Scheindemokratie sei. "Das entspricht den von uns erhobenen 14 plus 18 Prozent. Drei von zehn Befragten sind also von der Demokratie, wie sie in Österreich und Deutschland praktiziert wird, enttäuscht oder sie fühlen sich getäuscht", sagt David Pfarrhofer, der die Umfrage für den STANDARD erstellt hat.

Market geht diesem Phänomen schon länger nach – und Pfarrhofer ist wegen des Umfrageergebnisses keineswegs alarmiert, im Gegenteil: "Wir können im Langzeitvergleich durchaus von einem stabilen Demokratieverständnis sprechen. Und auch die aktuelle Erhebung zeigt ja, dass 82 Prozent der freien Meinungsäußerung einen Einser oder Zweier geben. 72 Prozent sagen, dass man in einer Demokratie auch aushalten muss, dass andere Mitbürger eine andere Meinung haben – auch eine solche, die man selbst für dumm hält. Und es herrscht Konsens darüber, dass diese Leute auch nach einem gleichen Wahlrecht wählen dürfen und wählen sollen. Nur eine kleine Minderheit meint etwa, dass nur wählen sollte, wer sich mit Politik beschäftigt; oder dass das Stimmgewicht wie im Zensuswahlrecht bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Steuerleistung geknüpft sein sollte."

Der Aussage, Österreichs politisches System funktioniere gut, stimmen bezogen auf sämtliche staatlichen Ebenen 55 Prozent der Befragten zu. Dieser Wert stimmt weitgehend mit den Antworten aus dem Frühjahr 2017 überein.

Und obwohl das Parteiensystem durch Streit und Skandale immer wieder Imageschäden erlitten hat, vergeben 46 Prozent einen Einser oder Zweier für die Aussage, dass eine parlamentarische Demokratie durch Parteien organisiert sein muss. Und zwar durch eine breite Parteienvielfalt – das englische System aus de facto zwei Parteien wird weitgehend zugunsten des schwierigeren Mehrparteiensystems abgelehnt.

Verschwommenes Bild von Alternativen

Allerdings sind die in Österreich herrschenden Vorstellungen von möglichen Änderungen im demokratischen System verschwommen und widersprüchlich: Mit einer Durchschnittsbenotung von 3,18 zeigt sich eine große Skepsis gegenüber einer Präsidialdemokratie nach französischem Muster – während die nicht ganz unähnliche Idee einer Bundeskanzlerdirektwahl mit 2,22 eine viel bessere Benotung findet.

Pfarrhofer: "Direkte Demokratie und Persönlichkeitswahlen sind besonders beliebt – aber da schaut man eben nicht nach Frankreich oder gar USA, wo auch Spitzenbeamte oder Staatsanwälte persönlich gewählt werden. Man schaut da eher in die Schweiz, wobei den Österreicherinnen und Österreichern gar nicht auffällt, dass mehr als die Hälfte der Schweizer gar nicht an Volksabstimmungen teilnehmen. Die Schweiz und Schweden werden nun einmal für demokratische Musterländer gehalten."

70 Prozent (Note 1,86) der österreichischen Wahlberechtigten glauben, dass Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild zu einer "echten" Demokratie dazugehören.

Aber das sind Detailfragen. Was für das Gesamtbild wichtiger erscheint sind die möglichen Alternativen.

Auch diese ließ DER STANDARD abfragen.

Die Idee, das Land von einem starken Führer regieren zu lassen, der sich nicht um Wahlen und Parlament kümmern muss, stößt auf breite Ablehnung – nur elf Prozent halten das für eine sehr gute (drei Prozent) oder gute (acht Prozent) Art, ein Land zu führen. Noch weniger Sympathien hätte eine Militärregierung. Nach wie vor (2017 wurde das gut zwei Jahre vor dem Experiment der Regierung Bierlein schon einmal gefragt) gibt es ziemlich starke Sympathien für eine Expertenregierung: 14 Prozent halten das für eine sehr gute, 45 Prozent für eine ziemlich gute Art, ein Land zu führen. Aber ein demokratisches politisches System wird dann doch wieder von 91 Prozent bevorzugt. (Conrad Seidl, 7. Mai 2022)