Sie galten einmal als "Job-Stopper". Wer sich an Hals und Händen oder im Gesicht tätowieren ließ, lief erstmal unter "schwer vermittelbar". Ein Lehrer mit "Face-Tat"? Eine Bankberaterin mit gemustertem Wangenknochen? Lange unvorstellbar.
Das Gesichtstattoo hat trotzdem Karriere gemacht. Wer auf den Social-Media-Kanälen das Leben von Post Malone verfolgt, weiß: Tätowierungen sind Botschaften. Jener Rapper, der seine berufliche Laufbahn auf Soundcloud begann, beweist: Auf Stirn und Wangen haben erstaunlich viele von ihnen Platz. "Always Tired" lässt sich unter Malones Augen lesen, "Stay Away" über der rechten Braue, "Stoney" unter dem Kinn. Abgerundet wird das Kunstwerk mit Motiven wie Spielkarten, Schwertern, Stacheldraht, Smiley, Herz.
Im Gegensatz zu Sticheleien auf Steißbein, Schulter oder Unterschenkel lassen sich diese nur schwer verstecken. Man könnte auch sagen: Das "Face-Tat" ist nichts für wankelmütige Charaktere. Vielmehr handelt es sich bei ihm um ein Schmuckstück für Menschen, die aufs Ganze gehen, die es wirklich ernst meinen (dass es sich dabei meist um Männer handelt, muss nicht weiter erläutert werden).
Wer sich auf ein Motiv einlässt, ist fix zamm. Seit einigen Jahren meinen es nun ziemlich viele ernst. Unter Malones Kollegen sei das Gesichtstattoo so was wie der "Vokuhila im Hardrock der Achtziger", diagnostizierte die "Süddeutsche Zeitung" schon 2019. Beste Beispiele sind der Rapper Lil Uzi Vert, er hat sich unter anderem den Schriftzug "Faith" auf die Stirn piksen lassen, oder eben Lil Wayne. Männer mit Gesichtstattoos, sie sind mittlerweile bestens vermarktbar. Selbst Justin Bieber ist seit etlichen Jahren Klubmitglied. Er hat sich über der Braue in verschnörkelten Buchstaben den Schriftzug "Grace" verewigen lassen, gemeint war Ehefrau Hailey, eh klar.

Seither hat die Begeisterung für das offene Bekenntnis obenrum den Mainstream erobert. Der Italiener Achille Lauro, der beim ESC für San Marino antritt, hat sich beispielsweise "Pour ama", den Titel seines Albums, ins Gesicht stechen lassen.

Auch wer mit RTL aktuell auf "Temptation Island" landet, kommt nicht um den Stuttgarter Nikola Glumac herum. Nur um die Augen herum hat er bislang auf Nadelstiche verzichtet.
Wer hier und da Lust auf Anonymität hat, ist mit einem Face-Tattoo allerdings schlecht beraten. Das musste vor einigen Monaten ein deutscher Fußballfan erfahren. Er warf während eines Regionalligaspiels einen Böller auf den Rasen. Schnell wurde er überführt, dank seiner auffälligen Gesichtstattoos. (Anne Feldkamp, 11.5.2022)