Die auch in dieser Kolumne öfter kritisierte österreichische Sozialdemokratie lebt. Das hat dieser 1. Mai am Rathausplatz auch gezeigt, nicht zuletzt mit der demonstrativen Geschlossenheit des in der Bekämpfung der Pandemie besonders erfolgreichen Bürgermeisters Michael Ludwig mit der politisch und rhetorisch überzeugender gewordenen Bundesvorsitzenden Pamela Rendi-Wagner.

Ludwig, auf dem Weg in die Reihen der großen Wiener Bürgermeister, ist mehr denn je der starke Mann der SPÖ. Ihm ist in erster Linie zu danken, dass die SPÖ die Zerstörungswut des gescheiterten Kanzlers Christian Kern überlebt hat. Dieser und sein Vorvorgänger, Alfred Gusenbauer, heute glücklicher Millionär, haben aber auch eine Tradition der blinden Putin-Freundschaft hinterlassen.

Bürgermeisters Michael Ludwig ist mehr denn je der starke Mann der SPÖ.
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Rendi-Wagner, deren persönliche Anständigkeit und soziale Kompetenz außer Zweifel sind, muss auch in der Außenpolitik eine klare Linie nicht nur gegenüber Wladimir Putin, sondern auch gegenüber Viktor Orbán, Aleksandar Vučić und anderen autoritären Herrschern einschlagen. Das Antikorruptionsvolksbegehren wäre für sie auch ein guter Anlass, mit der vergifteten Erbschaft der Inseratenkorruption und den zwielichtigen Praktiken ihrer Vorgänger öffentlich zu brechen. Überhaupt reichen die zwei Themen – Epidemie und Teuerung – nicht aus, die SPÖ zu mobilisieren und regierungsfähig zu machen. Sie muss aktiv, glaubwürdig und lernfähig, auch in den Bundesländern, für Transparenz eintreten. Die abgehobenen SPÖ-Politiker mit ihrer Doppelmoral und mit der unausgesprochenen Devise "Geld statt Gesinnung" sowohl vor wie auch nach dem Sturz haben entscheidend zum Niedergang der SPÖ, wie auch in Deutschland dank Altkanzler Gerhard Schröder der SPD, beigetragen.

Politische Mitte

Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Korruptionsskandale und die "Chatnachrichten" der Ära Kurz den jähen Sturz der ÖVP und den Aufstieg der SPÖ in den Umfragen bewirkt haben. Anscheinend gelingt es nicht einmal dem örtlich erfolgreichen Pascha des Burgenlandes, die Konsolidierung der Position Rendi-Wagners an der Parteispitze zu torpedieren. Auch bei der ÖVP stand am Wochenende die erfolgreichste und deshalb mächtigste Landespolitikerin, Johanna Mikl-Leitner, im Mittelpunkt. Die niederösterreichische Organisation dominiert in der Partei ebenso wie die Wiener SPÖ in der Bundespartei.

Kanzler Karl Nehammer wird von der ÖVP Niederösterreich mitgetragen und von keinem Konkurrenten am Bundesparteitag in zwei Wochen gefährdet. Er hatte sich am Anfang wohltuend von der Kriecherei des Sebastian Kurz vor Putin distanziert, hat es aber bisher versäumt, das völlig ungeeignete Personal in wichtigen Ministerien auszutauschen. Im Gegensatz zu Kurz, der die Partei in lichte Höhen geführt hat, kann er nicht mit der Nachsicht befreundeter Chefredakteure und gehorsamer Landeshauptleute rechnen.

In Zeiten wie diesen ist es, wie in allen Krisensituationen, wichtig, dass die politische Mitte hält. Trotz des Sieges von Präsident Emmanuel Macron könnte zum Beispiel Frankreich wegen der Stärke der Links- und Rechtsextremen unregierbar werden. Das können in Österreich nur eine stärkere SPÖ und eine stabilisierte ÖVP verhindern. (Paul Lendvai, 2.5.2022)